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Über das Projekt

Auf dieser Website veröffentlichen wir Lebensgeschichten von Sowjetbürger:innen, die NS-Verfolgung in Deutschland überlebten. Dies sind vier Gruppen: sowjetische Kriegsgefangene, Konzentrationslager-Gefangene, sowjetische Zwangsarbeiter:innen. In diesen Gruppen waren auch minderjährige Personen, diese Gruppe haben wir in einer eigenständigen Kategorie berücksichtigt. Die Besonderheiten der jeweiligen Verfolgtengruppe stellen wir in einem speziellen Abschnitt der Website vor. Die Menschen in diesen Gruppen wurden aus verschiedenen Gründen verfolgt, aber sie eint die sowjetische Staatsbürgerschaft und (infolgedessen) die „Unsichtbarkeit“ in der deutschen Erinnerungskultur. Dieses Projekt soll ihre Stimme zum Klingen bringen.

Wie funktioniert die Website? 

Die Projektmaterialien lassen sich über zwei Bereiche erschließen: Biografien und Glossar.

Die Biografien von Sowjetbürgern in nationalsozialistischen Lagern basieren auf Quellen, die in Archive verschiedener Gedenkstätten in Deutschland liegen. Diese Briefe, Memoiren, Fotos, normativen Dokumente sowie Video- und Audiointerviews sind in den Biographien enthalten. Gleichzeitig ermöglichen sie es, verschiedene Erinnerungskulturen kennenzulernen.

Die Filterfunktion ermöglicht eine genaue Auswahl von Biographien nach Verfolgtengruppen, Herkunft, Geschlecht, Geburtsjahr und Gedenkstätte.

Im Glossar erklären wir grundlegende historische Begriffe, in vielen Fällen kurz und etwas länger, wenn es sich um komplizierte historische Prozesse handelt. Auf diese Weise stellt das Glossar ein Koordinatensystem für den historischen Kontext dar.

Für wen ist dieses Projekt? 

Für Lehrer:innen und Schüler:innen an deutschen Schulen, die sowohl Deutsch als auch Russisch und Ukrainisch beherrschen, sowie für Schüler in anderen Ländern, die diese Sprachen beherrschen.

Beteiligte Museen und Gedenkstätten 

Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit verschiedener Museen, Gedenkstätten und Stiftungen durchgeführt:

Museum Berlin-Karlshorst

Gedenkstätte Bergen-Belsen

Gedenkstätte Buchenwald

Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde Brandenburg an der Havel

Dokumentationszentrum die Lager Jamlitz

KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

NS-Dokumentationszentrum München

KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen

Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain

Das Team

Die Autor:innen des Projekts sind Aktivist:innen, Historiker:innen, Pädagogen:innen, Redakteur:innen und Filmemacher:innen aus der Ukraine und Russland. Wegen der vollumfassenden Invasion Russlands in die Ukraine mussten wir unsere Heimat verlassen. Nach wie vor halten wir es für wichtig, die Geschichten von einfachen Menschen zu erzählen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben. Geschichten mit einem tragischen und vielschichtigen Kontext. Wir sind überzeugt, dass dies dazu beiträgt, der Heroisierung des Krieges entgegenzuwirken, und einen Schritt zu seinem Ende beizutragen.

Einige Projektteilnehmer:innen erzählten von der Bedeutung des Projekts für sie:

Tatiana Timofeeva, Historikerin, ehemalige Dozentin der historischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossov-Universität:

Ich nahm am Projekt teil, nicht nur weil ich die Lebenswege sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter:innen rekonstruieren wollte, sondern auch, weil ich es in dieser schwierigen Zeit besonders wichtig finde, Themen zu Russland und seiner Geschichte in der globalen Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs auf der Tagesordnung zu halten. Zu meinen wissenschaftlichen Schwerpunkten gehörte stets die Geschichte des Alltags. Daher fand ich die Initiative spannend, die Wahrnehmung der Gefangenschaft aus dem Blick von Rotarmist:innen darzustellen. Dieses Thema und auch ihr späteres Leben in der Heimat, blieb in der Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt bisher unterbelichtet. Das Museum Berlin-Karlshorst verfügt über eine bemerkenswerte Sammlung von Quellen: Briefe ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener. Sie beleben diejenigen wieder, die bereits ihr Leben verloren, aber Erinnerungen hinterlassen haben. Mit diesem Projekt fühlte ich mich in meinem Beruf weiterhin als Mitglied eines interessanten Teams und hoffe auf die Verwirklichung seiner Ziele, vor allem im Bildungsbereich. Ich möchte besonders die länderübergreifende Ausrichtung des Projekts betonen. 

Aren Vanyan, Schriftsteller, Forscher, Moskau / Dresden:

Ich muss gestehen, dass ich zum ersten Mal als Redakteur an einem internationalen Projekt teilnahm. Ich hatte das Glück, viele deutsche, ukrainische und russische Kollegen kennenzulernen, in den Archiven lokaler Gedenkstätten zu arbeiten und in Deutschland und in postsowjetischen Staaten Wissen über Geschichtserinnerung auszutauschen.

Der meisten beeindruckte mich jedoch das Format unseres Projekts. Auf unserer Website findet man Biografien von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter:innen, die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland in Unfreiheit waren. Geschrieben wurden diese Biografien von Emigranten aus postsowjetischen Ländern, die wiederum in den Jahren des neuen Krieges, der im 21. Jahrhundert begann, nach Deutschland ziehen mussten. Nach etwa 80 Jahren mussten wir, Bewohner Russlands und der Ukraine, unsere Heimat wieder verlassen, aber leider aus ganz anderen tragischen Gründen. Diesmal schlossen wir uns in Deutschland, einem für uns neuen Land, zu eine humanitäre Aufgabe zusammen, die sich dem Erhalt der kollektiven historischen Erinnerung an die Unzulässigkeit des Krieges und den Wert des Friedens widmet. 

Ich wiederhole es: In dieser Einheit historisch-pädagogischer und humanitärer Ziele, so scheint es mir, liegt die Einzigartigkeit unseres Projekts, und ich bin froh, dass ich daran teilgenommen habe. 

Vera Yarilina Moskau / Oranienburg:

Das Projekt „vergessene Zeitgenossen“ stellt im gewissem Maße Gerechtigkeit für Menschen wieder her, die sehr schwere Prüfungen bestehen mussten. In einem halben Jahr habe ich mir über 50 große Interviews mit ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen aus der Ukraine, Russland und Belarus angehört und diese transkribiert. Diese Materialien lagen über 20 Jahre im Archiv und manchmal schien es mir, als wollten die Interviewten endlich gehört und verstanden werden, als wollten sie den Schmerz, den sie ihr ganzes Leben bei sich trugen, mit jemandem teilen. 

Der größte Schock für mich war es vermutlich, zu hören und zu erkennen, dass das Überleben im Konzentrationslager nur eine der Herausforderungen im Leben vieler von ihnen war. Bereits vor dem Krieg waren sie mit Repressionen, Hunger und Verlust von Angehörigen konfrontiert. Und nach ihrer Befreiung warteten auf sie die Lager des Gulag, Arbeitsbataillone, endlose Kontrollen, Misstrauen, Unmöglichkeit über schmerzhafte Erinnerungen zu sprechen, und Schuldgefühle vor denjenigen, die es nicht geschafft oder überlebt haben. 

Sie erzählten: Ich bin es gewohnt allein zu sein, ich bin es gewohnt zu überleben… meine schweren Kindheitserfahrungen halfen mir… Ich kam nach Hause, sah meine Kinder an und überlegte mir, welche Strategie richtiger ist: die Kinder auf ein glückliches Leben oder das Überleben im Konzentrationslager vorbereiten? 

Ich hoffe sehr, dass die Erinnerungen, die wir in diesem Projekt gesammelt haben, uns allen dabei helfen, komplexen und widersprüchlichen Geschichten zuzuhören, in denen übereifriges und verwegenes Heldentum fehlt. Sie sollen zur Empathie und Respekt für Menschen beitragen und es Kindern ermöglichen, ohne Diktatur, grausame Prüfungen und Angst aufzuwachsen. 

Die Mitarbeiter des Projekts sind anonyme Autoren aus Mariupol und Charkow, Natalia Baryshnikova, Sergey Bondarenko, Olga Bubnova, Anna Bulgakova, Aren Vanyan, Lilia Zaneitdinova, Ilya Natarov, Andrey Petropavlov, Boris Romanov, Evelina Rudenko, Vasily Starostin, Tatiana Timofeeva, Alena Todorova, Natalia Tyshkevich, Ivan Schemanov, Vera Yarilina.

Koordination – Arkadi Miller

Webentwicklung – Erdmännchen & Bär

Quellen 

Die Erstellung der Biographien erfolgte auf Grundlage der Archivbestände folgender Institutionen:

Museum Berlin-Karlshorst, Gedenkstätte Buchenwald, Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Gedenkstätte Bergen-Belsen, KZ-Gedenkstätte Neungamme, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Hilfe Brandenburg an der Havel, Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, Sacharov-Zentrum, Projekt „ta storona“, Archiv des Vereins „Charkow molodoj“.

Dank an: 

Dr. Jörg Morre (Museum Berlin-Karlshorst), Dr. Enrico Heitzer (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Dr. Julia Landau (Gedenkstätte Buchenwald), Anita Ganzenmüller (Gedenkstätte Buchenwald), Anett Dremel (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora), Darius Finck (Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde Brandenburg an der Havel), Dr. Jens Nagel (Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain), Kristina Tolok (NS-Dokumentationszentrum München), Arne Pannen (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Andreas Zimnik (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Agnes Ohm (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Christian Römmer (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Peter Michalke (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen), Robert Gmys (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen).

Das Projekt wurde gefördert durch: