Displaced Persons Camps
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Alliierten im befreiten Europa mit ca. 11 Millionen Displaced Persons (DPs) konfrontiert, d. h. Menschen, die sich infolge des Krieges fernab ihrer Heimat befanden. Die meisten von ihnen waren NS-Opfer, etwa Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangene und Konzentrationslagern-Gefangene. Eine andere Gruppe waren gezwungene oder freiwillige NS-Kollaborateure, die sich mit der Wehrmacht nach Deutschland zurückzogen. Eine dritte Gruppe bildeten Gegner des Sowjetregimes und sowjetische Emigranten der ersten Welle (in den 1920er Jahren), die 1944 bis 1945 aus den Ländern flohen, die nun von der Sowjetunion besetzt wurden, zum Beispiel aus Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Ab Sommer 1946 bildeten jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa eine große Gruppe: Zunächst kehrten Holocaust-Überlebende in ihre Vorkriegshäuser zurück, mussten sie aber bald wieder verlassen und flüchten, nachdem sie mit Antisemitismus und einer neuen Welle von Pogromen konfrontiert waren.
Zur Unterstützung und Kontrolle dieser Menschen wurden in Deutschland, Österreich und Italien sogenannte Displaced Persons Camps (DP Camps oder DP-Lager) eingerichtet. In diesen Lagern bekamen Menschen Schutz, Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung und Hilfe bei der Verwandtensuche, solange sie auf Heimkehr oder Einreiseerlaubnis in Drittländer warteten. DP Camps wurden in Schulen, Sanatorien, ehemaligen Kasernen, Zwangsarbeiter:innen-Lagern und Konzentrationslagern eingerichtet. Verwaltet wurden sie von alliierten Truppen und der UN-Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung (UNRRA).
Die meisten DPs fuhren bis Herbst 1945 in ihre Länder zurück, jedoch etwa eine Million Menschen wollen nicht in ihre Länder zurückkehren. Unter ihnen dominierten Polen, Esten, Litauer, Letten, Ukrainer und Juden aus diversen Ländern. Die Gründe, nicht zurückkehren, waren vielfältig. Manche lehnten das Sowjetregime und die sowjetische Besatzung Osteuropas kategorisch ab, manche wollten den bewaffneten Kampf dagegen fortsetzen. Andere hatten Angst vor sowjetischen Repressionen aufgrund ihrer nationalen und religiösen Zugehörigkeit. Auch katastrophale Zerstörungen in Polen und der Sowjetunion spielten eine Rolle. Schließlich fürchteten viele Menschen eine Strafe für die erzwungene Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten während der Besatzung, beziehungsweise für Ihre Kriegsgefangenschaft oder für die Deportation zur Zwangsarbeit.
Eine besondere Kategorie bildeten Juden: Neben oben genannten Gründen konnten sie wegen der großen Welle antisemitischer Pogrome im Nachkriegseuropa nicht in ihre Heimat zurückkehren, wie z. B. in Kiew (Ukraine) im September 1945 und in Kielce (Polen) im Juli 1946.
Die Alliierten waren auf eine so große Anzahl von „Verweigerern“ und „Nichtrückkehrern“ nicht vorbereitet. Außerdem verpflichteten sie sich im Abkommen von Jalta (1945), alle sowjetischen Bürger:innen unabhängig von deren Wunsch in die sowjetische Besatzungszone zu überführen. Somit hatte die Rückführung in die Sowjetunion einen Zwangscharakter. Die Alliierten unterstützten diese Politik. Jedoch erkannten sie die Bewohner der 1939–1940 in Folge des Hitler-Stalin-Pakts sowjetisch annektierten Gebiete, d. h. Litauen, Lettland, Estland, Ostpolen, rumänischer und finnischer Territorien, nicht als sowjetische Bürger an und übergaben sie dementsprechend nicht an sowjetische Behörden. Diejenigen, die bis 1939 in der Sowjetunion lebten, mussten gegen die Rückführung kämpfen. Oft vernichteten diese Menschen ihre Dokumente und erfanden für sich neue Biografien, indem sie sich als aus Polen stammend darstellten. Ende 1945 beendeten die Alliierten die Praxis der erzwungenen Rückführung. Eine wichtige Rolle spielte dabei die heftige öffentliche Debatte. Sie wurde durch mehrere Fälle von kollektiven Selbstmorden in DP-Lagern ausgelöst, die Menschen aus Protest gegen die gewaltsame Rückführung in die Sowjetunion begingen.
DP-Lager wurden eigentlich für einen vorübergehenden Aufenthalt eingerichtet. Aufgrund der vielen „Nicht-Rückkehrer“ dienten sie jedoch bis in die frühen 1950er Jahre für hunderttausende Menschen als Zuhause. Diese errichteten in den nach Nationalitäten gentrennten DP-Camps Schulen, Kirchen, Theater, Zeitungen, Hilfskassen, Kurse für neue Berufe und vieles mehr, während sie auf die Einreiseerlaubnis in die USA, nach Palästina und später Israel, Kanada oder Australien warteten. Menschen schlossen in DP-Lagern Ehen, brachten Kinder zur Welt, begingen nationale Feiertage und entwickelten erste Gedenktraditionen für Gefallene im Zweiten Weltkrieg. Einigen Historikern zufolge bildeten DP-Lager einen fruchtbaren Boden zur Stärkung der nationalen Identität der Geflohenen, was jedoch manchmal zu Ausbrüchen von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit führte. Gleichzeitig stießen DPs auf Feindseligkeiten seitens der deutschen Gesellschaft. Rassistische Beleidigungen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderen öffentlichen Orten waren alltäglich. Auch ständige Identitäts- und Dokumentkontrollen waren für viele DPs quälend, weil sie die Aufdeckung ihrer sowjetischen Staatsbürgerschaft und die gewaltsame Rückführung in die Sowjetunion fürchteten.
Ausweisdokument einer Diplaced Person, 1945, Digitales Archiv „Fond 21“, Forschungs- und Bildungszentrum „Memorial“, (https://fond21.memo.ru/doc/89157/2).
Bis 1953 wanderten die meisten DPs aus Deutschland aus, aber rund 230.000 Menschen blieben in der Bundesrepublik. Sie durften in andere Länder, etwa wegen Krankheiten oder fortgeschrittenem Alter, nicht einreisen. Nach neuen deutschen Gesetzen erhielten sie den Status von „heimatlosen Ausländern“. Dies sicherte ihnen soziale Unterstützung, begrenzte jedoch wesentlich ihre Rechte. Der Status der „heimatlosen Ausländer“ war im Grunde nicht korrekt, denn er verwischte die Tatsache, dass einige von ihnen NS-Opfer waren und sich nicht freiwillig in Deutschland aufhielten. Auf diese Weise entledigte sich die deutsche Gesellschaft der Verantwortung für die zerstörten Lebenswege dieser Menschen und der Pflicht, sie zu unterstützen.
Verfasserin: Evelina Rudenko