KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Getarnter Eingang des Fahrstollens A zur unterirdischen V2-Anlage des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, 12. April 1945, Fotograf: John R. Driza, National Archives, Washington. Public domain.
Am 28. August 1943 wurde das „Arbeitslager Dora“ gegründet, ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, für den Bau und später den Betrieb des unterirdischen Mittelwerk für V2-Raketen, die nach der Vorstellung der nationalsozialistischen Führung Deutschland neue Siege bringen sollten. Am 28. Oktober 1944 wurde das Lager Dora und das Netzwerk von 40 Außenlagern im südlichen Harz zu einem eigenständigen Konzentrationslager umgewandelt, dem KZ Mittelbau.
Da im August 1943 noch keine Baracken oder andere feste Unterkünfte existierten, wurden die ersten Häftlinge in sogenannten Schlafkammern im unterirdischen Stollensystem untergebracht, in dem sie auch arbeiten mussten. Sie schliefen auf vierstöckigen Pritschen unter unhygienischen Bedingungen: Sie konnten sich nicht waschen, und als Toiletten dienten ihnen halbierte Fässer. Ab Anfang 1944 verlegte man die Häftlinge in das oberirdische Barackenlager. Das Lager wuchs und erreichte seine größte Ausdehnung im Jahr 1945, als mehrere tausend evakuierte Häftlinge aus anderen Lagern nach Dora gebracht wurden. Damals befanden sich im gesamten KZ-Komplex Mittelbau ungefähr 40.000 Häftlinge. Anfang April 1945 wurde das KZ Mittelbau vor den näherkommenden amerikanischen Truppen geräumt und die Häftlinge bis auf wenige Ausnahmen in andere Lager verschleppt. Etwa 20.000 Häftlinge überlebten die Deportation nach Mittelbau-Dora nicht.
Sowjetische Häftlinge wurden zusammen mit Polen nach der SS-Rassenhierarchie über Sinti und Roma sowie Juden gestellt, die sich ganz unten befanden. Die meisten Kontakte hatten sowjetische Häftlinge mit polnischen und tschechischen Insassen. Häftlinge aus der Sowjetunion sprachen fast immer Belarusisch, Russisch oder Ukrainisch – also slawische Sprachen.
In Mittelbau gab es Widerstand, aber nationale Gruppen waren kaum miteinander verbunden. Gegen sowjetische Häftlinge wurden im November 1944 Anschuldigungen wegen Vorbereitung eines Aufstands erhoben. Viele Häftlinge wurden damals getötet oder anderen Strafen unterworfen.
Sowjetische und polnische Häftlinge bildeten die zahlreichste Gruppe, ihr Anteil betrug jeweils 30%, wobei ihr Anteil an Verstorbenen laut offizieller Statistik 10% betrug, was bedeutet, dass ihre Sterblichkeit unter dem Durchschnitt lag.
Am 11. April 1945 befreiten US-Truppen die in Mittelbau-Dora von der SS zurückgelassenen Häftlinge. Ein Teil der Ausrüstung und Dokumentation des Werks wurde in die USA gebracht und dann, nachdem Thüringen in die sowjetische Besatzungszone übergegangen war, in die Sowjetunion. Nach dem Krieg bildeten rehabilitierte Spezialisten Forschungsgruppen in der Raketenentwicklung in den USA und der Sowjetunion.
Im Unterschied zu Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück erhielt Mittelbau nicht den Status eines „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“, und seine Rolle im Gedenkkult der DDR war bescheiden. In der Sowjetunion war die Situation ähnlich. Bis 1991 gab es kein einziges Buch, das Mittelbau zumindest einen Abschnitt widmete. Die Erfahrungen ehemaliger Dora-Häftlinge waren für die Propaganda nicht von Interesse.
Mit der Verschärfung des “Kalten Krieges” bekam Mittelbau in der Sowjetunion in den 1970er- und 1980er-Jahren mehr Aufmerksamkeit. Es wurde betont, dass einige Ingenieure später für die USA arbeiteten, und daher amerikanische Waffen “faschistische” Wurzeln haben. Dies wurde als Beweis für die Verwandtschaft von Kapitalismus und Faschismus betrachtet. Mittelbau-Dora wurde beispielsweise zum Schauplatz des Films “Im Rücken des Feindes“ von 1981 über Heldentaten sowjetischer Spione.
Das erste Museum am Lagerstandort wurde 1964 eröffnet, zwei Jahre später folgte eine ständige Ausstellung. Es wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands wesentlich umgebaut und erweitert.
Für die Biografien auf dieser Website wurden hauptsächlich Archivbestände verwendet, die Korrespondenz zwischen Museumsforschern und ehemaligen Häftlingen enthalten. Die Briefe der Häftlinge geben oft Antworten auf Fragen, die von Forscher:innen vorbereitet wurden. Darüber hinaus wurden Videos verwendet, die vom Verein “Jugend für Dora e. V.” aufgezeichnet wurden.
Verfasser: Ivan Shemanov
Besucher:innen in der Stollenanlage, 2012. Foto: Claus Bach. ©KZ Gededenkstätte Mittelbau-Dora