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Ankunft einer Gruppe von Zwangsarbeiter:innen mit Kindern, Meinerzhagen, April 1944, Stadtarchiv Meinerzhagen.

Die ersten zivilen Zwangsarbeiter:innen aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion wurden Ende 1941 nach Deutschland gebracht. Schon damals nahm der akute Bedarf der deutschen Militärindustrie an Arbeitskräften deutlich zu. Im Frühjahr 1942 begann in den besetzten sowjetischen Gebieten die Massenanwerbung von Freiwilligen zur Arbeit nach Deutschland. Den Freiwilligen wurden Gehalt, Lebensmittelversorgung und Vorteile für Familienmitglieder versprochen, die in besetzten Gebieten verblieben. Gleichzeitig führten die Nationalsozialisten im Rahmen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion große Mengen an Lebensmitteln aus den besetzten Gebieten für die Bedürfnisse des Deutschen Reichs ab. Dies führte zum Hunger der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten, wo deutsche Besatzer und ihre örtlichen Helfer durch Terror herrschten. Es gab Massenerschießungen an Juden und Sinti und Roma. Repressionen gegen Kommunist:innen und ihre Familien waren an der Tagesordnung. Außerdem wurde die Zivilbevölkerung im Rahmen einer Arbeitspflicht zur Arbeit für die Besatzer gezwungen. Im Falle einer Verweigerung, drohte Entzug von Lebensmittelkarten. Unter diesen Bedingungen wurde die „freiwillige“ Anwerbung zur Arbeit in Deutschland zu einer von vielen Überlebensstrategien unter deutscher Besatzungsherrschaft. 

Trotz deutscher Propagandabemühungen brachte die Anwerbung von Freiwilligen keine gewünschten Ergebnisse. Bald darauf begann die gewaltsame Deportation der Bevölkerung zur Zwangsarbeit. Menschen wurden offiziell vorgeladen und bei Razzien festgenommen, auf Märkten und anderen überfüllten Orten fanden sog. „Menschenjagden“ statt. Bei Widerstand gegen Deportationen nach Deutschland verbrannten die Besatzer Häuser und veranstalteten öffentliche Hinrichtungen. Beim Rückzug der Wehrmacht im Jahr 1944 wurden ganze Siedlungen gewaltsam ins deutsche Hinterland verschleppt. Die Verschleppten wurden in Viehwaggons, ohne Lebensmittelversorgung nach Deutschland gebracht. Unterwegs hielten die Züge nur selten lediglich zu Desinfektionsmaßnahmen und medizinischen Untersuchungen. 

In diesem Rahmen wurden 1941 bis 1944 etwa 2,8 Millionen Menschen aus den besetzten sowjetischen Gebieten zur Zwangsarbeit nach Deutschland und in andere deutsch besetzte Gebiete deportiert. Nach Schätzungen des Historikers Mark Spoerer stammten von ihnen etwa 1,5 Millionen aus der sowjetischen Ukraine, mehr als 800.000 Menschen aus Russland, 400.000 aus Belarus. Im Jahr 1943 war die Hälfte der Deportierten jünger als 23 Jahre alt, d. h., sowjetische Zwangsarbeiter:innen waren eine relativ junge Gruppe. Fast die Hälfte von ihnen waren Frauen.

Bevor weiter auf die Bedingungen der Zwangsarbeit sowjetischer Bürger in Deutschland eingegangen wird, soll der Begriff Zwangsarbeit thematisiert werden. Die Internationale Arbeitsorganisation definiert Zwangsarbeiten als jene Arbeiten, denen eine Person nicht freiwillig zugestimmt hat und unter Androhung von Strafe ausführt. Bei Zwangsarbeit im Nationalsozialismus muss betont werden, dass sowjetische Zwangsarbeiter:innen darüber hinaus ihr Zwangsarbeitsverhältnis nicht beenden und die Arbeitsbedingungen nicht beeinflussen konnten. Im Grunde waren sie gegenüber ihren „Arbeitgeber:innen“ und deutschen Behörden völlig rechtlos. 

Weitere grundlegende Merkmale der Zwangsarbeit von Sowjetbürger:innen in Deutschland waren staatlich verankerter Rassismus und Diskriminierung. Im Deutschen Reich existierte eine Rassenhierarchie, wobei Pol:innen und Sowjetbürger:innen sich auf der unteren Stufe befanden. Noch schlechter war die Lage von Jud:innen und Sinti und Roma. Sowjetische Zwangsarbeiter:innen galten als rassistisch minderwertig, rückständig, vom „jüdischen Bolschewismus verseucht“ und im Geiste des Hasses gegen europäische Kultur erzogen. In der nationalsozialistischen Bürokratie wurden sie als „Ostarbeiter“ bezeichnet, um ihre niedere und fremdartige Herkunft hervorzuheben. Außerdem waren sie gesetzlich verpflichtet, das Abzeichen „OST“ auf der Kleidung zu tragen, damit Mitglieder der sog. deutschen „Volksgemeinschaft“ sie eindeutig als sog. „Untermenschen“ erkannten, die keine humane und gleichberechtigte Behandlung verdienten.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von sowjetischen Zwangsarbeiter:innen regelten sog. „Ostarbeiter-Erlasse“ von 1942. Sie legten eine Rassentrennung zwischen „Ostarbeitern“ und „Ariern“ fest. Kontakte zwischen ihnen, die über die Arbeit hinausgingen, wurden verboten. Die „Ostarbeiter“ wurden in Arbeitslagern untergebracht, die von Stacheldraht umgeben und von der Außenwelt streng isoliert waren. Das Verlassen dieser Lager war nur zum Zweck der Arbeit gestattet. Wenn eine strenge Isolierung von Zwangsarbeiter:innen nicht möglich war, wie z. B. auf Bauernhöfen, mussten die Kontakte zwischen „Arbeitgebern“ und Zwangsarbeiter:innen auf ein Minimum reduziert werden. „Ostarbeiter“ durften keine öffentlichen Verkehrsmittel und Fahrräder benutzen sowie keine Kinos, Kirchen oder Geschäfte besuchen. In Betrieben und Fabriken, wo deutsche Arbeitskräfte den Kontakt zu sowjetischen Zwangsarbeiter:innen nicht vermeiden konnten, sollten sie ihnen ihre „Überlegenheit“ demonstrieren, um eine mögliche Arbeiter:innen-Solidarität zu unterbinden. Sowjetische Zwangsarbeiter:innen wurden von speziellen Abteilungen der Gestapo mit Hilfe von Agent:innen überwacht. Sexuelle Beziehungen zu Deutschen standen unter Todesstrafe. Disziplinarische Vergehen oder die Verletzung vielfältiger diskriminierender Gesetze konnte durch die Überstellung in Konzentrations- oder Arbeitserziehungslager bestraft werden. Ungeachtet stereotyper Vorstellungen über die deutsche Gesellschaft und der Allgegenwärtigkeit der Gestapo wurden oben beschriebene Normen nicht immer und nicht überall eingehalten. Darüber hinaus veränderten sie sich im Laufe des Krieges, insbesondere mit der Verschlechterung der Lage der deutschen Truppen an der Ostfront. So wurden z. B. viele Verbote für Zwangsarbeiter:innen nach der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad Anfang 1943 aufgehoben. 

Aus der Sowjetunion deportierte Zwangsarbeiter:innen wurden zur Arbeit in Militärfabriken, Bergwerken, auf Baustellen und Bauernhöfen, in Privathaushalten und Läden geschickt. Zu den „Arbeitgebern“ zählten der Staat, große private Unternehmen, die Kirche, die Kommunen und gewöhnliche deutsche Privatpersonen. Arbeitslast und Lebensbedingungen hingen vom Zwangsarbeitsort ab. Viele ehemalige Zwangsarbeiter:innen, die sowohl in Fabriken als auch auf Bauerhöfen arbeiteten, behaupteten, dass Zwangsarbeit in der Landwirtschaft und in Privathäusern leichter auszuhalten war. Dies liegt zum Teil daran, dass viele sowjetische Zwangsarbeiter:innen an schwere Land- und Hausarbeit gewöhnt waren. Außerdem war es in der Landwirtschaft möglich, Lebensmittel von Feldern mitzunehmen, um dem Hunger zu entgehen. Zugleich waren Zwangsarbeiter:innen in der Landwirtschaft völlig dem Willen des „Arbeitgebers“ ausgeliefert und von ihren Landsleuten räumlich abgeschnitten. Dies konnte ein Vorteil sein, wenn die „Hausherren“ in der Lage waren, rassistische Stereotype und nationalsozialistische Propaganda zu überwinden und Zwangsarbeiter:innen menschlich behandelten. Wenn dies nicht der Fall war, konnte das Leben der Zwangsarbeiter:innen unerträglich werden. Menschen, die in Fabriken arbeiteten und in großen Lagern lebten, hatten dagegen eine größere Chance, in der Menge unterzutauchen und Unterstützung von ihren Baracken-Nachbar:innen zu erhalten. Zugleich bedeutete das Leben in Lagern bei Industriebetrieben einen ständigen Mangel an warmer Kleidung und geringe Essensrationen. Zwangsarbeiter:innen waren deshalb gezwungen, Essensabfälle oder Gemüse von umliegenden Feldern zu stehlen.

Alle Zwangsarbeiter:innen sollten ein Gehalt bekommen, aber nach Abzug zahlreicher Steuern war es mindestens 4,5-mal kleiner als das Gehalt deutscher Arbeiter:innen. Aber auch diese winzigen Summen bekamen die Menschen nicht immer auf die Hand, oft stahlen ihre Vorgesetzten das Geld. Mit dem erhaltenen Geld konnten sowjetische Zwangsarbeiter:innen in speziellen Lagergeschäften einkaufen oder benötigte Lebensmittel und Kleidung von westlichen Zwangsarbeiter:innen erwerben. Das Gehalt hob jedoch den erzwungenen Charakter von Zwangsarbeit nicht auf. 

Sowjetische Zwangsarbeiter:innen mussten schwere, schmutzige und gesundheitsschädliche Arbeiten ausführen. Oft bekamen sie keine dafür notwendige Schutz- und Arbeitsbekleidung. Unter solchen Bedingungen waren Arbeitsunfälle alltäglich. Medizinische Versorgung beschränkte sich im Allgemeinen auf einfachste erste Hilfe am Arbeitsplatz. Ob ein:e Zwangsarbeiter:in angemessen medizinisch versorgt wurde, hing völlig von der Einstellung des jeweiligen Fabrikmeisters, des landwirtschaftlichen „Arbeitgebers“ und natürlich des Arztes vor Ort ab. Manche deutsche Vorgesetzte ignorierten die Beschwerden von Zwangsarbeiter:innen und stempelten sie als Faulheit oder Arbeitsunwilligkeit ab, während andere aktiv Hilfe leisteten. 

Die Sterblichkeit sowjetischer Zwangsarbeiter:innen in Deutschland lag nach groben Schätzungen unter 10%. Die Deportierten starben an Infektionskrankheiten während Epidemien, die unter anderem durch schlechte Ernährung und Mangel an warmer Bekleidung verursacht wurden. Neben der deutschen Zivilbevölkerung fielen sie alliierten Bombenangriffen zum Opfer oder starben nach ihrer Überführung in Konzentrationslager, wenn sie etwa gegen diskriminierende Gesetze verstoßen hatten. Zwangsarbeiter:innen mit psychischen Störungen wurden in geschlossene psychiatrische Einrichtungen geschickt, wo sie Euthanasie-Morden zum Opfer fielen. Kinder von „Ostarbeiterinnen“, die in Deutschland zur Welt kamen, wurden ihren Müttern weggenommen und in spezielle Kinderheime gesteckt, wo sie an unmenschlichen Lebensbedingungen starben. 

Sowjetische Zwangsarbeiterinnen waren in Deutschland doppelter Bedrohung und Diskriminierung ausgesetzt: als Frauen und als Vertreterin einer „unteren“ Rasse. Sie wurden zu Opfern sexualisierter Gewalt sowohl von Seiten der Deutschen als auch ihrer Lagernachbarn. Es gibt überlieferte Fälle, als schwangere Zwangsarbeiterinnen zu Abtreibungen oder gar Sterilisationen gezwungen wurden. 

Trotz der schwierigen Zwangsarbeitssituation in Deutschland soll betont werden, dass jede:r aus der Sowjetunion Deportierte einen Handlungsspielraum hatte, d. h. eine begrenzte Möglichkeit, zwischen verschiedenen Verhaltensstrategien zu wählen. Unter den Deportierten waren alle sozialen Schichten der sowjetischen Gesellschaft vertreten, mit verschiedenen Hintergründen und Bildungsniveaus. Daher handelten sie unter den unmenschlichen Bedingungen im Dritten Reich unterschiedlich. Es sind diverse Arten von Widerstand bekannt: wiederholte Fluchtversuche, Sabotage bei Güterherstellung, Begehen von sowjetischen Feiertagen, Engagement bei Pflege von Lagernachbar:innen sowie gegenseitige Unterstützung. In denselben Baracken gab es jedoch auch Fälle von Fremdenfeindlichkeit gegenüber anderen ethnischen Gruppen aus der Sowjetunion, Diebstahl und Kämpfe um Lebensmittel. Gleichzeitig waren Gefühle von Hilflosigkeit, Heimweh und völliger Gleichgültigkeit verbreitet. Junge Menschen, die bis dahin oft nie ihre Heimatdörfer verlassen hatten, flüchteten aus den Zwangsarbeitslagern und erkundeten neugierig den deutschen Alltag, der von Krieg und nationalsozialistischer Propaganda geprägt war. Sie gingen Liebesbeziehungen ein, gründeten Familien und brachten trotz Gefangenschaft Kinder zur Welt. Die Geschichte der sowjetischen Zwangsarbeit in Deutschland ist ein Paradebeispiel für die Komplexität menschlicher Geschichten und den Nutzen multiperspektiver Ansätze zur Auseinandersetzung mit Geschichte. 

Zwangsarbeit war eines der öffentlichen und sichtbarsten Verbrechen des Nationalsozialismus. Deutsche Zivilbevölkerung traf jeden Tag auf den Straßen ihrer Städte und Dörfer auf Kolonnen sowjetischer Zwangsarbeiter:innen, sie sah sie an ihren Arbeitsplätzen, und ging an ihren Lagern vorbei. Deutsche Industriebetriebe, die teilweise bis heute existieren, überstanden den Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt dank der billigen Zwangsarbeit von Deportierten aus ganz Europa. Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, und Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, wurden im Nürnberger Prozess gegen Hauptkriegsverbrecher als Verantwortliche für die Organisation des Zwangsarbeitssystems verurteilt. Sauckel bekam die Todesstrafe, Speer eine Freiheitsstrafe. Jedoch galt die Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus noch Jahrzehnte nach dem Krieg in der deutschen Gesellschaft als normaler Teil eines jeden Krieges. Erst Ende der 1980er Jahre debattierte der Bundestag über die Notwendigkeit von Entschädigungszahlungen für ausgebeutete Zwangsarbeiter:innen. Dies führte in den frühen 1990er und 2000er Jahren zu zwei Wellen von Entschädigungszahlungen. 

Nach der Rückkehr in die Sowjetunion aus Deutschland, wurden ehemalige Zwangsarbeiter:innen im Alltag diskriminiert und als „Helfer der Faschisten“ stigmatisiert. Viele von ihnen erfuhren Probleme bei der Zulassung zum Studium oder der Beförderung am Arbeitsplatz. Viele Zwangsarbeiter:innen verschwiegen ihre schweren Kriegserfahrungen sogar gegenüber eigenen Ehepartnern und Kindern, um dem Kollektivverdacht und Hetze wegen vermeintlicher „Feindeshilfe“ zu entgehen. Das Stigma der „Ostarbeiter“ verblasse erst ab Anfang der 1990er Jahre mit der ersten Welle deutscher Entschädigungen. Jedoch ist die Geschichte der sowjetischen Zwangsarbeiter:innen in Russland und Belarus bis heute von vielen Mythen geprägt. Deshalb sehen sich ehemalige „Ostarbeiter“ oft nicht als „vollwertige“ und anerkannte Opfer des Nationalsozialismus.

Verfasserin: Evelina Rudenko 

Literatur:

Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn: J. H. W. Dietz Nachfolger, 1999. 

Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945, Stuttgart – München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2001. 

Mark Spoerer, Jochen Fleischhacker: Forced Laborers in Nazi Germany. Categories, Numbers, and Survivors. In: The Journal of Interdisciplinary History, 33, no. 2 (2002), S. 169–204. 

Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Weißrussisches Nationalarchiv u. a. (Hg.): „Ostarbeiter“. Weißrussische Zwangsarbeiter in Österreich 1941-1945, Graz – Minsk, 2003.  

Koslowa Aljona (Hg.): Für immer gezeichnet. Die Geschichte der „Ostarbeiter“ in Briefen, Erinnerungen und Interviews, Berlin: Ch. Links Verlag, 2019. 

Tetiana Pastušenko:  „Die Niederlassung von Repatriierten in Kiew ist verboten…“. Die Wiedereingliederung von ehemaligen Zwangsarbeitern in die sowjetische Gesellschaft nach dem Krieg, in: Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen, hg. v., Dieter Pohl und Tanja Sebta, Berlin: Metropol-Verlag, 2013.