"Alles, was geschah, blieb für mich ein Rätsel, als ob nicht das Leben, sondern Dreharbeiten zu einem düsteren Thriller im Gange wären."
Alexander Dmitrijewitsch Marikoda (1919–2008) war ein sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter.
Alexander wurde 1919 in dem Dorf Gorjatschewodskaja bei Pjatigorsk (Gebiet Stawropol, Russland) geboren. Er arbeitete als Drucker in einer Druckerei.
1940 wurde er zur Roten Armee eingezogen und zu einem Grenzposten in der Westukraine geschickt, die in dem 1939 von der Sowjetunion annektierten Gebiet liegt. Während des Rückzugs nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion landete Alexander in Woroschilowgrad (heutiges Luhansk, Ukraine). Er erlitt eine Gehirnerschütterung und wurde in ein Feldlazarett eingeliefert. Bald wurden die Stadt und das Lazarett von deutschen Truppen eingenommen.
Schwer verwundete Patienten wurden erschossen, während die übrigen gefangen genommen oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt wurden. Alexander gehörte zu den Letzteren: Er wurde zur Zwangsarbeit in die Stadt Brandenburg an der Havel (Brandenburg) deportiert. Nach einem erfolglosen Fluchtversuch wurde er verhaftet und in ein nicht näher bezeichnetes Gefängnis in Brandenburg gebracht. Dort musste er sechs Monate Zwangsarbeit in einem Steinbruch leisten. Anschließend, so erinnert er sich, musste er in einer Fabrik namens „Argo“ Waffen herstellen, darunter „Panzerfäuste“. Acht weitere Monate arbeitete er an einer Fräsmaschine. Danach wurde er seinen Erinnerungen zufolge in ein Konzentrationslager verlegt, dessen Namen er jedoch nicht nennt. An die Lagerzeit in Deutschland erinnert er sich folgendermaßen:
„Wissen Sie, manchmal kam mir der Gedanke, dass einer von Hitlers Führern beschloss, die Hölle auf Erden zu schaffen. Und es gelang ihm auch, nur ist nicht klar, zu welchem Zweck. Hat dieses düstere Bild, das bis zum Rand mit menschlichem Leid gefüllt war, bei jemandem die Nerven gekitzelt, ihn zum Übermenschen erhoben oder war es eine Epidemie von Paranoia? Alles, was geschah, blieb für mich ein Rätsel, als ob nicht das Leben, sondern Dreharbeiten zu einem düsteren Thriller im Gange wären.“
Alexander blieb in diesem Lager bis Anfang 1945, als es von amerikanischen Truppen befreit wurde. Den Rest des Krieges verbrachte er in den Reihen der Roten Armee. Als Soldat, der in deutscher Gefangenschaft gewesen war, wurde er von seinen Kameraden mit Misstrauen behandelt:
„Panzerfäuste“ waren einfache Einweg-Panzerabwehrwaffen deutscher Produktion aus dem Zweiten Weltkrieg.
"Das Erste, was mir unter eigenen Leuten begegnete, war Misstrauen. Es begannen Kontrollen, ob ich nicht mit den Deutschen zusammengearbeitet, ob ich nicht auf ihrer Seite gekämpft hätte. Ein falsch gesprochenes Wort und die berechtigte Wut konnten sich in einen Kopfschuss verwandeln. Aber Gott sei Dank ging die Überprüfung gut aus, und ich wurde wieder zur Armee einberufen, um zu Ende zu dienen."
1946 wurde Alexander demobilisiert und kehrte nach Pjatigorsk zurück, wo er wieder als Drucker in einer Druckerei arbeitete. Im Dezember 1948 wurde er jedoch unter dem Vorwurf des „Vaterlandsverrats“ verhaftet, zweimal angeklagt und schließlich zu zehn Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt:
„Wenn ein Soldat [von Deutschen] gefangen genommen wurde und er sich keine Kugel gegeben hat, bedeutet das, dass er ein Verräter ist und seine Schuld im Gulag wiedergutmachen muss. Andererseits, wenn man ideologische Argumente beiseitelässt, wird freie Arbeit benötigt, um das industrielle Potenzial wiederherzustellen, wo ein Mensch für eine 400-Gramm-Brotration Bäume fällt, Eisenbahnen baut, und Dämme für Wasserkraftwerke betoniert. Im Dezember 1948 wurde ich, wie Hunderttausende andere, die in deutscher Gefangenschaft waren, verhaftet und nach dem berühmten Artikel 58 des Vaterlandsverrats angeklagt. Die Ermittlungen dauerten etwa ein Jahr.“
Nach Alexanders Erinnerungen war die Erfahrung in einem sowjetischen Lager für ihn nicht anders als in einem deutschen Lager:
"Manchmal schien es, als würde ein großer Regisseur über allem stehen, nur das Bühnenbild war ein anderes und die deutschen Mauern wurden durch sowjetische ersetzt: die gleiche Einzelhaft, die gleiche Todeszelle, die gleiche grundsätzliche Angst."
Alexander arbeitete als Holzfäller im sowjetischen Besserungsarbeitslager in Wjatka (Region Kirow, Russland), einem der größten Lager des Gulag-Systems.
Als 1956 in der UdSSR das „Tauwetter“ einsetzte, wurde Alexander vorzeitig entlassen. Er kehrte nach Pjatigorsk zurück, arbeitete als Sanitärinstallateur und ging bald in Rente. Er starb 2008.
Tauwetter-Periode nennt man die auf den Tod Stalins im Jahr 1953 folgende Periode in der Sowjetunion und den Staaten des Ostblocks. Sie bedeutete eine Auflockerung des herrschenden Stalinismus durch größere Freiheit im kulturellen Bereich, einen beginnenden Abbau des Gulag-Systems und eine ansatzweise Entspannung des Ost-West-Konflikts. Sie endete spätestens mit der Entmachtung Nikita Chruschtschows im Jahr 1964. Der Name geht auf den 1954 erschienenen Roman Tauwetter von Ilja Ehrenburg zurück.

Verfasser: Vasily Starostin
Quellen: Archiv des Sacharow-Zentrums.
Nach Artikel 58 des Strafgesetzbuches der Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wurden Menschen für vermeintliche ‚konterrevolutionäre‘ Tätigkeiten bestraft. Dieses Gesetzt diente dem Regime u. a. der Verfolgung politischer Gegner:innen.