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Portrait von Iwan Sablozkij als Rotarmist, Fotograf unbekannt, Archiv des Museums Berlin-Karlshorst.

Iwan Stepanowitsch Sablozkij (geb. 1920)* war ein sowjetischer Kriegsgefangener.

 

Iwan wurde in einer belarusischen Bauernfamilie im Dorf Gontscha (Gebiet Mahiljou, Belarus) geboren. Seine Eltern hatten insgesamt sieben Kinder. Sein Vater starb, als der Junge zwei Jahre alt war. Nach dem Abschluss seiner siebenjährigen Schule arbeitete er als Schlosser in Orsсha (Belarus). 1940 wurde Iwan in die Armee einberufen und diente in der Stadt Ventspils in der Nähe von Riga, nachdem Lettland 1940 von der Sowjetunion besetzt wurde. Nach dem Rückzug aus Libava (heute Liepāja, Lettland) und Riga wurde die Einheit von Iwan Sablozkij in der Umgebung von Leningrad (heute St. Petersburg, Russland) eingekesselt.  

Iwan erzählt, dass er im Juli 1941 verwundet wurde, in deutsche Gefangenschaft geriet und ins Kriegsgefangenenlager „Tilsit“ (Ostpreußen, heute – Sowetsk, Russland) geschickt wurde. Dort wurden die jüngsten und gesundesten Gefangenen ausgesondert und nach Braunschweig (Niedersachsen) abtransportiert. Iwan arbeitete für die Unternehmen „Nordkopf“ und „Drütte“, die Gefangenen mussten fast rund um die Uhr arbeiten. Die Leiter der Firma waren Gebrüder Willi und Jupp; Laut Iwans Erinnerungen war Jupp ein „echter Faschist“ und konnte Kriegsgefangene sogar für den geringsten Ausdruck von Empathie bestrafen. Iwan erlebte dies, als ein polnischer Arbeiter namens Kaschpor ein Stück Brot mit ihm teilte; Diese Erinnerung von Iwan verdeutlicht, wie Kriegsgefangene trotz unmenschlicher Lebensbedingungen im Lager überleben konnten:  

„(…)voller Freude konnte ich es [das Stück Brot] nur dreimal abbeißen. Aber dann stürmte der Faschist Jupp auf mich und schlug mir das Stück Brot aus der Hand. Sofort ließ er einen Wachposten kommen, (…) der mich töten wollte. Aber der Hauptwächter, ein Frontsoldat, verbot ihm zu schießen und sagte: ‚Ich bin der Älteste, ich bin für ihn verantwortlich.‘ Er führte mich zurück ins Lager und gab mir auf dem Weg dahin eine Zigarette.
Nach Jupps Entscheidung wurde ich in eine zwei-mal-drei-metergroße Strafzelle mit einem mit dickem Draht umhüllten Stahlbetonboden gesteckt. Man zog mich aus und ließ mich nur in einem Unterhemd stehen. Am Abend schneite es, in der Nacht war es frostig (nach Vorstellungen der Deutschen) -5 bis -8 Grad. Als Kind habe ich in meiner Familie gehört, dass ein Mensch an den Füßen zu erfrieren beginnt. Also riss ich einen Teil des Hemdes ab, teilte ihn in zwei Hälften und wickelte beide Beine ein. Die ganze Nacht lang bat ich, von einem Fuß auf den anderen tretend lauthals: ‚Herr, rette mich!‘ Am Morgen hörte ich Schlüsselklappern. Das waren Wachmänner, die das Gebiet aufsperrten, auf dem diese Strafzelle stand. Als sie bei mir waren und mich am Leben fanden, sagte der Älteste der drei Wachmänner: ‚Koto-koto, noch leben [deutsch im Original]‘. Alle waren überrascht, dass ich am Leben blieb“.

Als „Lager Tilsit“ (Ostpreußen, heute Sowetsk, Russland) werden in den Erinnerungen unterschiedliche Kriegsgefangenenlager für Sodaten und Offiziere der Roten Armee bezeichnet, so etwa das Oflag 53 in Heydekrug (Ostpreußen, heute Šilutė, Litauen), das Oflag in Pogegen (Ostpreußen, heute Pagėgiai, Litauen) oder eins der anderen Lager für Kriegsgefangene in Heydekrug.

Jahrzehnte nach der Gefangenschaft erinnern sich viele ehemalige Gefangene nicht mehr genau an die Orte und ihre Bezeichnungen.

"Man führte mich barfuß durch den Schnee in einen Wachraum. Als wir ankamen, lag dort neue Kleidung bereit. Ich wusch mich, zog mich um und dachte: ‚Vorbereitung auf den Tod.‘ Mir wurde ein Glas Wodka gereicht, ich trank und bekam danach eine Schüssel Soldatensuppe. Ich aß. Danach kam ein unbekannter Mann mit einem großen Hut und einem Gehstock. Alle standen stramm. (...) Er ging an mir vorbei, berührte meine Schulter mit seinem Gehstock und fragte: ‚Du Siberian? [im Original, Kommst du aus Sibirien?]‘. Ich antwortete: ‚Nein, ich bin Belaruse‘."

Fast unmittelbar danach wurde Iwan zum Bahnhof gebracht und nach Hannover (Niedersachsen) geschickt. Die Deutschen Passagiere im Zug, gaben ihm Zigaretten und belegte Brote und bedauerten, dass er „so jung ist und schon so viel Furcht und Leid ausstehen musste“. In Hannover arbeitete Iwan in den “Lindener Eisen- & Stahlwerken”. Dort wurden Einzelteile für Tiger-Panzer“ hergestellt, Iwan fertigte Panzerketten. Er wurde Zeuge von häufigen Bombardierungen Hannovers. Trotz der leidvollen Lagererfahrungen bewahrte er eine menschliche Einstellung:  

„Bomben fielen, Häuser brannten, und ich rannte durch die Straßen, um mich irgendwo zu verstecken. Vor mir lief eine deutsche Frau, mit einem Säugling in den Armen. Dann explodierte eine Bombe neben der Frau. Die Frau wurde in eine Richtung geworfen, das Baby in die andere. Die Frau war bewusstlos. Noch mehr Bomben explodierten. Es gab keine Zeit zum Nachdenken. Ich griff das Baby auf, es war am Leben, und lief in den Luftschutzkeller. Später brachten Polizisten auch die verletzte Mutter in diesen Keller. Nachdem sie zu sich kam und sah, dass ihr Baby lebte und in meinen Armen lag, kniete sie nieder, weinte und dankte mir. Ein Polizist kam hinzu und fragte: ‚Wer bist du?‘ Ich antwortete: ‚Ich bin ein russischer Gefangener.‘“  

 

Bei einer weiteren Bombardierung wurden sowohl die Fabrik als auch das Kriegsgefangenenlager zerstört. Die Überlebenden rannten in alle Richtungen. Iwan hörte Schreie aus dem verschlossenen Keller eines brennenden Hauses. Er brach die Tür auf und sah dort fünf englische Piloten. Mit Gesten zeigte Iwan ihnen, wohin sie am besten laufen sollten. Gedanken an diese Menschen ließen ihn auch Jahrzehnte später nicht los:

 

"Ich würde wirklich gerne wissen, ob vielleicht einer dieser von mir geretteten Engländer am Leben ist. Schade, dass ich ihre Namen nicht kenne."

Am 10. April 1945 besetzten amerikanische Truppen Hannover. Sie übergaben die sowjetischen Kriegsgefangenen an die Rote Armee. Iwan wurde als Soldat in die 26. Gardearmee einberufen und erst im Juni 1946 demobilisiert. Sein letzter Einsatzort war Königs Wusterhausen bei Berlin, wo er eine Schnapsbrennerei bewachte.  

Iwan kehrte in sein Heimatdorf Gontscha in Belarus zurück. Die deutschen Truppen brannten fast das gesamte Dorf nieder, auch sein Elternhaus. Drei seiner Brüder fielen im Krieg, nur seine Mutter, ein Bruder und die Schwester überlebten. Nach der Weisung des Militärkommissariats arbeitete Iwan als Sportlehrer in der Dorfschule, wo er 34 Jahre blieb. Er heiratete eine Lehrerin, sie bekamen drei Kinder. Im Rückblick auf sein Leben schrieb Iwan:  

„Ich hege keinen Groll gegen das deutsche Volk, es hat während des Krieges genauso gelitten wie unser ganzes Land. Schuld an allem trägt der Faschismus mit Hitler an seiner Spitze. Ich bin schon ein betagter Mensch und möchte nicht, dass meine Kinder und Enkel so etwas erleben. Wir alle müssen den Frieden schützen und keinen Krieg in der Zukunft zulassen, denn unsere Völker litten am meisten.“ 

*der letzte Brief von Iwan Sablozkij an die Organisation „Контакты-Kontakte e. V.“ stammte aus dem Jahr 2006.

Schwerer Panzer (Panzerkampfwagen VI) aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Ab 1942 wurde er von der deutschen Wehrmacht eingesetzt. Der „Tiger“-Panzer gilt als einer der bekanntesten Panzer des Zweiten Weltkrieges. Jedoch beschränkte der aufwändige Produktionsprozess seinen Einsatz. In der gesamten Kriegszeit wurden lediglich 1.350 Exemplare hergestellt.

Before
After
...

Verfasserin: Tatiana Timofeeva

Quelle: Briefe von Iwan Sablozkij an die Organisation

Контакты-Kontakte e. V., Archiv des Museums Berlin-Karlshorst.

In der Gefangenschaft arbeitete er in derselben Fabrik mit

Pjotr Soroka