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Iwan Petrowitsch Mironenko (Lebensdaten unbekannt) war ein sowjetischer Kriegsgefangener und Konzentrationslager-Häftling. 

 

Iwan wurde in die Familie eines Offiziers der zaristischen Armee geboren. Sein Vater, Großvater und Onkel wurden enteignet. Der Vater wurde 1937 verhaftet. Iwan musste in die Abendschule wechseln, um tagsüber in der Fabrik zu arbeiten. Er träumte davon, Militär oder Pilot zu werden, aber wegen der Vorstrafen des Vaters wurde der Junge nicht in den Aeroklub aufgenommen. Nach einer Weile ging Iwan nach Kyrgyzstan und arbeitete in einer Kohlemine.

1940 wurde Iwan in die Armee einberufen und kam in eine technische Einheit in der Nähe von Brest (Belarus). Als der Krieg ausbrach, war er Zugführer. Im Juni 1941 wurde Iwan von deutschen Truppen gefangen genommen. Während der Transporte in die Kriegsgefangenenlager floh er mehrmals, jedoch erfolglos. In Deutschland kam er in das Stalag VI K (326) Senne bei Stukenbrok (Nordrhein-Westfalen). Iwan erinnert sich an dieses Lager: 

„Sie haben uns dort gut aufgenommen, relativ gut. Sie nahmen uns auf als Kriegsgefangene: eine aufgebaute Baracke, 40 Menschen. Jeder ein Bett in einer zweistöckigen Koje, jeder hatte eine Schüssel, eine Tasse, eine Gabel, ein Messer, einen Spind. Das war in Ordnung. Sie nahmen uns kultiviert auf. Das Essen, kann man sagen, war in Ordnung – bis die Deutschen bei Moskau besiegt wurden. Die Deutschen wurden bei Moskau besiegt, dann wurde es schlimmer. Dann kochten sie ungeschälte Kartoffeln. Da waren alle Gespräche zu Ende, ja.“ 

 

Iwan flüchtete mit einigen Kameraden aus dem Stalag, aber erfolglos. Die Entscheidung über das Schicksal der Flüchtigen wurde in Berlin getroffen. Als die Gestapo sie abholte, so Iwan, wurde klar, dass es weitreichende Folgen für ihr Schicksal haben wird: 

"Und wir wussten schon, wenn sie die Nummer [auf der militärischen Erkennungsmarke] wegnehmen, sie in zwei Teile brechen, den einen zurückgeben und den anderen behalten, bedeutete dies, dass sie uns zur Erschießung führen. In diesem Moment ist man, wie man sagt, vor Angst gelähmt. Was wird er tun? Er gibt uns die Nummer [Erkennungsmarke] am Stück zurück. Er bricht sie nicht, das heißt, wir bleiben am Leben. Und da brachte man uns ins Gefängnis nach Chemnitz, nach Sachsen."

Im neuen Gefängnis erwarteten sie wieder Verhöre, weitere Bürokratie und eine unerwartete Begegnung: 

„Ich kam ins Büro. Dort saß irgendein Oberst in einer Polizeiuniform. Und in reinem Ukrainisch sagte er: ‚Setzen Sie sich. Die Ordnung ist folgende. Wo wurden Sie geboren, getauft…‘  
Der erste Gedanke war, meinen richtigen Namen zu verbergen. Aber warum? Ich hatte kein Verbrechen begangen. Vielleicht würde eines Tages jemand herausfinden, wo meine Knochen liegen? Du musst deinen Namen sagen. Ich erzählte ihm, wo ich geboren wurde. Oh, sagt er, dann sind wir Landsleute. Dann begann zwischen uns ein offenes Gespräch. Er sagt, ich komme aus der Nähe von Poltawa, aus der Nähe von Dykanka. 1918 emigrierte er. Er war Gutsbesitzer. Aus folgender Familie stammend, mit folgendem Einkommen, er vermietete ein Haus und besaß zwei weitere große Häuser. Sie hatten eine Fabrik. Nun, sagt er, wenn ich unsere Heimat besuchen könnte, wäre ich bereit zu sterben. Nun, kurzum, Sie wissen, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Das Einzige, was ich tun kann, ist, dass Sie morgen aus dem Gefängnis, aus der Zelle, zur Arbeit kommen. Da 50 Leute in der Zelle sind, ist es sehr, hart dort zu sitzen. Aber das steht in meiner Macht. Genau. Am nächsten Tag rief er uns aus zur Arbeit. Alle sitzen dort, und wir drei gingen zur Arbeit, zum Entladen von Kohlewaggons in den Elektrizitätswerken.“

 

Im Arbeitskommando interessierte sich ein Gefängnisaufseher für die Gefangenen, die gut Deutsch sprachen. Es gelang ihm manchmal, Iwan und seine Kameraden mit Essen zu versorgen, und bei jeder Gelegenheit stellte er Fragen zum Leben in der Sowjetunion: 

"Nachdem er alle zur Arbeit geschickt hatte, führte er mich ins Wachhäuschen. Auf dem Weg interessierte er sich für Russland. Was ist die Sowjetunion? Was sind Kolchosen? Wie lebt man dort? In unserem Gespräch kam es zu dem Punkt, an dem er sagte: 'Weißt du, dass ich Kommunist bin?' 'Weißt du was, Paul', sage ich: 'ihr seid alle Faschisten'. 'Faschisten?' Er wurde wütend auf mich. Er zieht sein Hemd hoch und zeigt mir seinen Rücken, der mit Narben übersät ist. 'Das haben die Nazis mit mir gemacht.' 'Und mein Bruder', sagt er, 'ist in Buchenwald, mein eigener Bruder.'"

Iwan überredete den Aufseher, ihm bei der Flucht zu helfen, aber ein paar Tage vor dem geplanten Datum wurde er mit anderen Häftlingen ins Konzentrationslager Buchenwald (Thüringen) geschickt. Nach Untersuchung und Quarantäne wurde die Gruppe in die Krankenbaracke gebracht. Dort lernte Iwan einen deutschen Häftlingsarzt kennen, der sich als Mitglied einer Untergrundorganisation zu erkennen gab und Neuankömmlinge rekrutierte. Iwan begann, Aufträge auszuführen. Nach Einsatz bei schweren körperlichen Arbeiten in Buchenwald, wurde er jedoch bald krank, woraufhin er ins Konzentrationslager Sachsenhausen (Brandenburg) transportiert wurde. Nach der obligatorischen Quarantäne wurde er dort einem Bombenräumkommando und dann einer Brigade zugeteilt, die die Villa des SS-Generals Hans Jüttner errichtete. 

Im Januar 1945 wurde Iwan zusammen mit anderen Häftlingen nach Hamburg transportiert. Dort wurden sie in einer Fabrik untergebracht und nach der Bombardierung der Stadt zur Räumung des Bahnhofs und zur Trümmerbeseitigung eingesetzt. Anfang März wurden alle in das Konzentrationslager Bergen-Belsen (Niedersachsen) gebracht. Die letzten zwei Monate vor der Befreiung waren sehr hart, die Häftlinge bekamen kaum etwas zu essen, und die Krematorien waren nach Iwans Erinnerungen ständig in Betrieb. 

Als die britischen Truppen das Lager betraten, wurden alle Kranken in ein Hospital evakuiert. Neben der extremen Erschöpfung (Iwan wog zu diesem Zeitpunkt 52 Kilogramm) stellte man bei ihm Tuberkulose fest. Im Herbst wurde Iwan dennoch in ein Hospital in der sowjetischen Besatzungszone verlegt und dann zusammen mit anderen Patienten in die Sowjetunion gebracht. Im Filtrationslager erfuhr er vom Plan, ehemalige Häftlinge in den Ural zu Forstarbeiten zu schicken. Iwan entging der Arbeit nur wegen der aktiven Form der Tuberkulose. 

Bombenräumkommando  – ein Arbeitskommando von Häftlingen, die zur Suche und Entschärfung von nicht explodierten Bomben und Geschossen eingesetzt wurde. In der Regel erfolgte dies ohne spezielle Ausrüstung. Ehemalige Gefangene aus der Sowjetunion verwenden in ihren Erinnerungen hierzu oft den deutschen Begriff „Bombensuche“.

Am Ende seines Interviews für die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen singt Iwan Mironenko ein sog. Lagerlied. Die Insassen der Lager legten oft Liederbücher an, in denen sie gehörte und eigens komponierte Gedichte niederschrieben.

Im Video ist eine Seite aus dem Liederbuch des ukrainischen KZ-Häftlings Michail Orlow mit der „Lagerhymne“ von Sachsenhausen zu sehen. Im Gesangsbuch ist sein Sterbedatum verzeichnet, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen.

Zu Hause traf er nur seine Mutter an. Er erfuhr, dass sein Vater während der deutschen Besatzung als Chef eines Polizeireviers gearbeitet hatte und dafür verurteilt worden war. Für den ehemaligen Häftling war es schwierig, Arbeit und Ausbildung zu bekommen. Er galt als Verräter des Vaterlandes.

Freunde und Nachbarn behandelten uns gut, gut. Die Machtinstanzen hingegen behandelten uns schlecht, schlecht. Wir waren für sie Verräter des Vaterlandes. Ja, offiziell behandelten sie uns schlecht. Aber als ich arbeitete, hatte ich zum Beispiel ein gutes Ansehen. Ich arbeitete zunächst als Buchhalter, ich war Gewerkschafter, die Leute kamen zu mir, und ich half ihnen, so gut ich konnte. Ich hatte dort in den letzten 20 Jahren viele Freunde (…). Aber von der Seite, ich sage es Ihnen ganz offen, von der Seite der Partei, der Kommunistischen Partei, haben sie uns verachtet.“

 

Iwans kranke Lunge plagte ihn sein ganzes Leben lang. Er erkrankte an Hepatitis A und Asthma und galt deshalb als Invalide.

Before
After

Verfasserin: Vera Yarilina

Quellen: Die Biographie basiert auf Interviewmaterialien von Iwan Mironenko mit der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen. 

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