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Praskowja Burma, Standbild aus einem Video-Interview, Krywyj Rih, Ukraine 2005. Archiv Gedenkstätte Bergen-Belsen.

Praskowja Iljinitschna Burma (geb. 1925)* war eine sowjetische Zwangsarbeiterin und eine Konzentrationslager-Gefangene. 

 

Praskowja Burma wurde 1925 in Pawlohrad (Gebiet Dnipro, Ukraine) geboren. Sie war sechs Monate alt, als ihre Mutter starb und wuchs danach bei einer Verwandten, später in der neuen Familie des Vaters auf. Nachdem Praskowja sieben Schulklassen abgeschlossen hatte, wollte sie eine Ausbildung in der Eisenbahnberufsschule beginnen, erfuhr jedoch nichts über ihre Aufnahme: Ihre Stiefmutter und ihr Vater vernichteten die Ausbildungszusage. Praskowja erfuhr dies erst Jahre später. Zu Beginn des deutschen Überfalls wurden ihre Freundinnen als Auszubildende evakuiert. Praskowja blieb dagegen in der Stadt. Als Pawlohrad im Juli 1941 von deutschen Truppen besetzt wurde, arbeitete sie in einer Sovchose. 

1943 wurde Praskowja zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Nach Überprüfung durch eine medizinische Kommission, wurde Praskowja zusammen mit anderen Frauen mit einem Zug nach Przemyśl im besetzten Polen gebracht und von dort in die Nähe von München (Bayern), wo sie in der Post- und Gepäckabteilung eines Bahnhofs arbeitete. Dort sortierten sowjetische Zwangsarbeiterinnen Pakete. Sie lebten in Baracken in einem Arbeitslager in München-Pasing und fuhren mit der S-Bahn zur Arbeit. Dabei wurden sie praktisch nicht bewacht. 

Im Herbst 1943 wurde Praskowja nach dem Vorwurf, Wurst gestohlen zu haben, verhaftet. Sie kam in ein Gefängnis und wurde im November zusammen mit anderen Gefangenen in das Transitgefängnis in Wien (Österreich) transportiert:

"... dort verbrachten wir zwei Nächte... der Boden war dort ... voll von ... diese Läuse und Wanzen, das ist so, wie, er war übersäht damit. Bei mir war diese Mascha, die aus meinem Viertel aus Pavlohrad kam. Sie hatte von Geburt an so ein dichtes, lockiges Haar, ja. Und dort wurden Liegen verteilt, also wie es sie am Strand gibt, Betten gab es keine. Nun, wo sollte man sich hinlegen? Also, jemand legte sich hin, manche nicht. Als Mascha sich hinlegte, hingen ihre Haare runter, und danach wimmelten ihre Haare von diesen Läusen und Bettwanzen."

Zwei Tage später wurden sie in das NS-Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau (heute Oświęcim, Polen) gebracht. Dort wurden die Frauen einer Sanitärbehandlung unterzogen, die für viele von ihnen eine Herausforderung war. Praskowja entging dem Haareschneiden:   

„Eine von uns, Galya, hatte so schwarze, dicke Zöpfe, sie waren lang, sehr lang. Und als ihr der Zopf abgeschnitten wurde, drückte sie ihn [den Zopf] an ihre Brust verlor ihren Verstand und wurde sofort abgeführt. (…) Nach ihr kam ich nicht mehr zum Haareschneiden. Meine Haare wurden nicht mehr geschnitten.“ 

 

Nach einem Monat im Quarantänelager kam Praskowja zum Arbeitskommando, in dem die jungen Frauen Wassergräben ausgeben mussten. Aus Hunger aßen sie wilden Meerrettich, der überall wuchs. Bald hatten sie, nach Praskowjas Worten, Glück: ihr Arbeitskommando wurde in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie mähten Raps und ernteten Kartoffeln. Hier konnten sie sich zusätzlich ernähren: Sie rieben zum Beispiel Kartoffeln, pressten den Saft aus und kochten daraus Suppe oder sie tauschten Kartoffeln gegen Margarine oder Klöße ein. 

Praskowja erinnert sich positiv an ihre Freundinnen: Sie hatte den Eindruck, als hätte sie zum ersten Mal eine echte Familie, die sie braucht. Die jungen Frauen entwickelten ihre eigenen Traditionen und Rituale:  

„Im obigen Bett schliefen wir zu sechst… Wir lebten ohne Streit und teilten die letzten Krümel miteinander. Eine Zigarette rauchten wir an einer Nadel gemeinsam, so war das. Und bis Kriegsende rauchten wir so, dass wir diesen Zigarettenstummel auf eine Nadel aufspießten, und rauchten so zu Ende, damit kein Gramm verloren geht. Eine einzige Zigarette wurde an herumgereicht. Warum ich anfing zu rauchen? Nun, was soll ich sagen. Einfach aus Langeweile (…). Wir vertrieben uns die Zeit und tätowierten uns gegenseitig. Und ich ließ mir aus Dummheit diese Tätowierung machen ‚Ich vergesse das KZ nicht‘.“

 

Eine Frau, das mit einer Lagerbewacherin befreundet war, beschloss zu fliehen:   

„Wir pflanzten gerade Bäume, da war so ein Waldgebiet, und sie beschloss wegzulaufen. Und sie wurde gefasst. Die Hunde rissen sie in Fetzen, das war eine furchtbare Sache. Und sie schrie immerzu zu Greta [Lagerbewacherin]: „Hilf mir, hilf mir!“. Und sie konnte da auch nichts tun…“

 

Die Gefangenen gewöhnten sich an ständige Grausamkeit. Nach Praskowjas Erinnerungen kamen ins Lager Auschwitz-Birkenau regelmäßig Transporte mit Juden:   

„… wenn ein Zug mit Juden ankam, wurde durch das Lager ‚Blocksperre, Blocksperre‘ [deutsch im Original] gerufen. Dies bedeutete, dass man aus der Baracke nicht mal zur Toilette durfte. Wir wussten bereits, dass ein Zug gekommen war und das Krematorium die ganze Nacht brennen würde. Es war schrecklich zu sehen: Fünf bis sechs Meter hoch schlugen die Flammen aus diesem, aus diesen Kaminen raus. Furchtbar. Aber wie es so ist, es war bitter und auch… also, wenn diese Nacht vorbei war, sagten sie am Morgen: ‚Seht! Heute gibt es eine Suppe mit Fleisch!‘“

 

Im Januar 1945 wurden die Gefangenen in Kolonnen zum Bahnhof getrieben. Als sie an einem Stall vorbeigingen, so erinnert sich Praskowja, durften sie daraus Tiere, etwa einen Vogel oder ein Ferkel, mitnehmen. Die Frauen stürzten auf den Stall zu. Nachdem sie in offene Waggons verladen wurden, aßen Gefangene, was sie mitnehmen konnten; Praskowja erinnert sich, wie sie selbst ein rohes Huhn aß.

Nach einem Stopp in Buchenwald (Thüringen) erreichte der Zug Bergen-Belsen (Niedersachsen). Praskowja schockte der Anblick von Gefangenen im neuen Lager: Menschen ähnelten Skeletten und zogen dabei Leichen von Verstorbenen. Die Frauen waren sich sicher, dass das gleiche Schicksal auch sie erwartet. Sie wurden jedoch zum Entladen von Zuckersäcken geschickt. Die hungrigen Gefangenen konnten sich solch einer Versuchung schwer widersetzen:

"Ich weiß noch, dass wir so viel Zucker gegessen haben, dass wir drei Tage nichts essen konnten. Unsere Münder waren so angeschwollen, dass wir nicht mal die Lippen schließen konnten. Alles wegen diesem Süßzeug ..."

Am Vorabend der Freilassung erkrankte Praskowja an Typhus. Zwei Küchenarbeiter, ein Tscheche und ein Franzose, versteckten sie nach ihrer Bitte im Keller zwischen dem Brennholz, damit sie unentdeckt bleiben konnte. Es gab keine täglichen Appelle mehr, sodass niemand nach ihr suchte:   

„… Ich lief noch zwei Tage durchs Lager und dann versteckten sie mich. Denn, wenn ich vor dem Weg gestürzt wäre, wäre ich nicht mehr hochgekommen und man hätte mich zu diesem Haufen von Toten weggezogen.“

 

Sie versteckte sich dort drei Tage lang, bis britische Truppen das Lager im April 1945 befreiten. Die ausgezehrte Frau wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo sie sich allmählich erholte. Bald kamen sowjetische Vertreter dorthin und organisierten den Transport ehemaliger Häftlinge nach Polen, wo sie von Mitarbeitern der Abteilung für militärische Gegenspionage vernommen wurden. Diese wollten unter anderem wissen, warum die Überlebenden nach zur Arbeit nach Deutschland gingen und nicht wie andere evakuiert wurden. 

Nach der Vernehmung kehrte Praskowja in die Ukraine nach Pawlohrad zurück. Sie erinnert sich, dass zu Hause niemand auf sie wartete, ihre Verwandten hielten sie lange für tot. Sobald Arbeitgeber erfuhren, dass sie in Deutschland war, verweigerten sie ihr die Anstellung. Schließlich bekam sie Arbeit bei der Trümmerbeseitigung, sie trug Haufen von Ziegeln ab, die nach Bombardierungen übriggeblieben waren. Danach zog Praskowja zu ihrem Onkel nach Stalino (heute Donezk, Ukraine) und arbeitete dort auf einer Baustelle, in einem Gemüselager und in einem Verkaufsgeschäft. In Stalino lernte sie einen Bergmann kennen. 1955 heirateten sie und erwarben ein kleines Haus. Sie bekamen zwei Söhne. Der Ältere absolvierte die Schule mit Auszeichnung und studierte später. Ihr Jüngerer wurde nach der Schule zur Armee einberufen und starb im sowjetisch-afghanischen Krieg. Bald darauf starb ihr Mann an Krebs. Bis zum Ende ihres Lebens lebte Praskowja Burma in Donezk.

* Die genauen Lebensjahre sind unbekannt. 

Before
After
...

Verfasserin: Anna Bulgakova

Quelle: Video-Interview von Praskowja Burma, Krywyj Rih, Ukraine 2005. Archiv Gedenkstätte Bergen-Belsen.