"Und als sie erfuhr, dass Lilja vernichtet werden sollte, stahl sie sie nachts, übergab sie durchs Fenster unseren Mädchen, und wir versteckten sie auf dem Dachboden, diese Lilja. Tagsüber saß sie auf dem Dachboden und nachts schlief sie zwischen uns."
Wera Udowenko-Bobkowa, Sewastopol, 1941, Fotograf unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Wera Sergejewna Bobkowa (1911–1972) war eine sowjetische Kriegsgefangene und Konzentrationslager-Gefangene.
Wera Bobkowa war ausgebildete medizinische Laborassistentin und arbeitete bis 1941 für das sowjetische Rote Kreuz. Nach ihrer Berufung in die Rote Armee im Jahr 1941 diente sie in einem Marinehospital. Während der Kämpfe um Sewastopol (Krym, Ukraine) wurde sie im Juli 1942 von deutschen Truppen gefangen genommen. Aus dem Stalag Slawut (Ukraine) kam sie im Februar 1943 ins Oflag VI A Soest (Nordrhein-Westfalen). Dort gehörte Wera zu Kriegsgefangenen, die sich weigerten, Zwangsarbeit zu leisten. Daraufhin wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück (Brandenburg) geschickt.
In Ravensbrück arbeitete Wera als Laborantin in Revier. Im Revier hatte sie eine Möglichkeit, anderen Insassinnen zu helfen: Sie stellte Krankenbescheinigungen aus und befreite sie damit von der Arbeit, sie besorgte notwendige Medikamente und teilte ihre Lebensmittelrationen. Im Buch „Sie haben den Tod besiegt“ erinnerte sich Wera daran, wie sie zusammen mit Milka und Inka, zwei weiteren Labortechnikerinnen aus der Tschechoslowakei, Untersuchungsergebnisse fälschte:
"Das Labor führte verschiedene medizinische Tests durch. Hier brachten die tapferen Tschechinnen die Pläne der Henker durcheinander. Wenn nötig, änderten Inka und Milka die Testergebnisse. Ich beteiligte mich auch daran."
Laut ihren Erinnerungen rettete Wera Anfang 1945 das dreijährige Mädchen Lilja vor der Selektion, indem sie es aus der Tuberkulose-Baracke mitnahm und in den Block mit sowjetischen Kriegsgefangenen übergab. Nach den Erinnerungen von Olga Golowina, einer weiteren Ravensbrück-Gefangenen, versteckten die Frauen das Kind auf dem Dachboden der Baracke:
„Und als sie [Wera] erfuhr, dass Lilja vernichtet werden sollte, stahl sie es [das Kind] nachts, übergab es durchs Fenster unseren Mädchen, und wir versteckten sie auf dem Dachboden, diese Lilja. Tagsüber saß sie auf dem Dachboden und nachts schlief sie zwischen uns.“

Wera Udowenko-Bobkowa mit der Pflegetochter Lilja und einer Mitarbeiterin der politischen Abteilung des Repatriierungslagers Nr. 222 Burykina, Ravensbrück, Sommer 1945, Fotograf unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Nach dem Krieg adoptierte Wera Lilja und nahm sie mit nach Moskau. Sie lebten bei der Familie von Weras Schwester. Im Lager erkrankte Wera an Tuberkulose. Die Krankheit heilte nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion nicht aus, weshalb sie früh in Rente gehen musste.

Wera Bobkowa (links) mit Lilja; Weras Freundin aus dem Lager Maria Petruschina mit ihrer Tochter Galina, 1960er Jahre, Fotograf unbekannt, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Trotz gesundheitlicher Probleme organisierte Wera Treffen ehemaliger Ravensbrück-Häftlinge und wirkte im Sowjetischen Kriegsveteranen-Komitee mit. Sie stand in Kontakt mit ehemaligen Gefangenen nicht nur aus der Sowjetunion, sondern auch aus anderen Ländern. 1959 wurde sie zur Eröffnung der Gedenkstätte Ravensbrück in die DDR eingeladen.
Wera verstarb im Oktober 1972. Lilja Pitschugina, Weras Tochter, lebt in Moskau.

Verfasserin: Liliia Zainetdinova
Quellen:
Interview mit Olga Wasiljewna Golowina für das internationale Projekt „Dokumentation lebensgeschichtlicher Interviews mit ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern“, 2005.
Oni podebili smert‘ [Sie haben den Tod besiegt], Moskau 1961.
Margot Blank, Ramona Savedraa-Santis: Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowejtische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück, hg. v. Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Berlin 2016.