„Mit dem Sieg der Roten Armee verbesserten sich auch die Beziehungen zwischen deutschen [Gefangenen] und russischen Kriegsgefangenen.“
Wassilij Iwanowitsch Fomin (geb. 1920)* war ein Kriegsgefangener und Konzentrationslager-Häftling.
Wassilij Fomin wurde im Dorf Nowodewitschje (Gebiet Samara, Russland) geboren. Seine Mutter stammte aus einer wohlhabenden bäuerlichen Familie. Seit Wassilij drei Jahre alt war, zog sie ihn alleine auf. Nach Schulabschluss studierte er an der pädagogischen Hochschule in Stawropol (Russland). Vor dem Krieg arbeitete Wassilij ein Jahr lang als Grundschullehrer im Dorf Epifanowka (Gebiet Samara, Russland). Weil es nur wenige Lehrer gab, wurde er vom Armeedienst befreit. Als der sowjetisch-finnische Krieg begann, wurde Wassilij jedoch am 1. Februar 1940 zur sowjetischen Armee eingezogen und kam in das 496. Haubitzen-Artillerieregiment. Wassilij durchlief Ausbildungen zum Artilleristen, Aufklärer und Topographen. In seiner Autobiografie beschreibt er diese Zeit:
„Ich stellte mich stur und lehnte eine Ausbildung in der Regimentsschule für rangniedere Kommandeure ab, dafür wurde ich ins 13. Automobilbataillon versetzt, wo ich mit Bildungsarbeit überhäuft wurde. Man wählte mich zum Sekretär der Komsomolorganisation des Bataillons, ich gestaltete den Leninraum, war Bibliothekar und vertrat im Unterricht den Kulturleiter. Ich lieferte Feldpost aus und brachte Soldaten aus nationalen Minderheiten Russisch bei.“
Wassilij wurde am 12. Oktober 1941 in der Ostukraine in einem deutschen Kessel weit ab der Frontlinie verwundet. Er erinnert sich, dass er wie durch ein Wunder am Leben blieb, in deutsche Kriegsgefangenschaft kam, wo er Zwangsarbeit leisten musste:
„Sogar die deutschen Besatzer zwangen alle, wieder ausgerechnet [Hervorhebung von Wassilij Fomin] in Kolchosen und nicht individuell zu arbeiten.“
Kolchose – Abk. für Kollektivnoe chosjastwo (rus.) – Kollektivwirtschaft, eine Unternehmensform in der Sowjetunion zur kollektiven Organisation der Landwirtschaft. Kolchosen wurden in der Sowjetunion gewaltsam und mit Hilfe von Repressionen gebildet, indem private Bauern enteignet, deportiert und während des Holodomors zum Hungertod verurteilt wurden.
Nachdem er nach Deutschland transportiert wurde, versuchte Wassilij zu fliehen, wurde jedoch gestellt und, wie er schreibt, in ein „Straflager“ gesteckt. Er überlebte eine dreiwochenlange Folter, worauf er ins Konzentrationslager Sachsenhausen (Brandenburg) etappiert wurde. Zwei Jahre später kam er ins Konzentrationslager Jamlitz-Lieberose (Brandenburg).
In seinen Erinnerungen verglich Wassilij diese beiden Lager zugunsten des Zweiten. In Lieberose musste er zunächst Schwerstarbeit leisten, etwa bei Waldarbeiten oder Entwurzelung von Bäumen. Dank seiner Kommunikationsfähigkeiten und dem Kontakt zu Karl Müller, einem deutschen politischen Häftling und Blockältesten, den er zuvor in Sachsenhausen kennengelernt hatte, bekam er eine Arbeit im Kleidungslager. Auf dieser Position bemerkte Wassilij die Vorbereitungen zur Ankunft einer großen Anzahl neuer Häftlinge. Es handelte sich hierbei um ungarische Juden. Wassilij erinnert sich an eine „Provokationen“, als ein russischer Gefangener ihn um bessere Schuhe bat. Wegen dieses Regelverstoßes wurde er erneut bei Waldarbeiten eingesetzt. Später arbeitete er dank seiner Kontakte in der Wäscherei und freundete sich mit anderen russischen und ukrainischen Häftlingen an. Die Wäscherei beschreibt Wassilij als einen vorteilhaften Arbeitsort, weil andere Häftlinge sie inoffiziell für persönliche Bedürfnisse nutzten, darunter auch Blockälteste und der Koch. Zusammen mit mehreren Kameraden bildete Wassilij eine Gruppe für gegenseitige Unterstützung:
"Als wir uns zu unserer kleinen Gruppe zusammenschlossen, verspürten wir einen Pioniergeist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Geschweige materieller Unterstützung ist moralische Unterstützung hier in unserer vierköpfigen Überlebensgruppe sehr wichtig."
Auch zu deutschen Häftlingen pflegte Wassilij freundschaftliche Beziehungen und beschrieb Theater- und Musikaufführungen:
„Mit dem Sieg der Roten Armee verbesserten sich auch die Beziehungen zwischen deutschen [Gefangenen] und russischen Kriegsgefangenen. Deshalb stiegen die Überlebenschancen der sowjetischen Kriegsgefangenen. Blockwart [deutsch im Original] Müller hatte die Idee, kleine Theateraufführungen und Minikonzerte zu veranstalten. Es wurde sogar ein ungarischer Chor gegründet für alle, die sich für das Singen interessierten und es mochten. Ungeachtet ihrer furchtbaren Lage und der enormen Todeszahl, erwiesen sich die ungarischen Juden als sehr gute Sänger, sie sangen abends laut und melodisch. Die deutschen Häftlinge baten sie sogar darum. Das Singen als solches war im Lager nicht verboten.“
Nach Bombardierungen von Hamburg wurde Wassilij zusammen mit anderen Gefangenen zur Trümmerbeseitigung in die Stadt etappiert. Er beschreibt weitere Bombardements, vor denen er sich in Luftschutzkellern versteckte, wo es laut seinen Erinnerungen „keine Unterschiede zwischen Häftlingen und Zivilisten gab“. Später kam er in ein Konzentrationslager bei Bremen, wo er als Sanitäter arbeitete, jedoch erkrankte er dort und kam in die Krankenabteilung. Dort wartete er auf seine Befreiung, verlor jedoch das Bewusstsein und verpasste sie. Später erlangte in der Krankenabteilung im selben Konzentrationslager wieder das Bewusstsein. Wassilij beschreibt in seinen Erinnerungen Spaziergänge durch die Stadt, Plünderungen durch seine Kammeraden und wie er selbst nicht daran teilnahm, außer als er einem älteren Deutschen ein Fahrrad wegnahm.
Drei Monate später wurde er in die sowjetische Besatzungszone repatriiert, wo er in der 10. Kanonen-Artilleriebrigade diente.
Nach dem Krieg kehrte er nach Nowodewitschje zurück. Zwanzig Jahre später zog er nach Neftegorsk auf die Insel Sachalin im pazifischen Ozean und arbeitete dort als Techniker einer Ölstabilisierungsanlage.
Wassilij widmete sich wieder seinem Jugendhobby: dem Journalismus und dem Schreiben. 1963-1964 besuchte er eine Schule für Arbeiterkorrespondenten. Seine Notizen, Interviews, Essays, Kurzgeschichten, Feuilletons und Gedichte wurden in Regionalzeitungen gedruckt. 1971 erschien in der Zeitschrift des Museums von Samara (Russland) ein Essay von Wassilij über die Geschichte des Dorfes Nowodewitschje. Sein weiteres Hobby war die Kunstschnitzerei.
Wassilij wurde mit Medaillen „Für den Sieg über Deutschland“ ausgezeichnet.
* Genaue Lebensjahre sind unbekannt.
Verfasserin: Natasha Tyshkevich
Quelle: Der Text basiert auf der Autobiografie von Wassilij Fomin aus dem Jahr 2005.