„Wir gingen zum Lagerkommandanten und baten darum, die Kinder in unsere Obhut zu geben. Man antwortete uns, dass sie kein Essen bekommen würden.“
Jekaterina Semjonowna Gorewa (geb. 1924)* war eine sowjetische Kriegsgefangene und Konzentrationslager-Gefangene.
Beim Angriff deutscher Truppen auf die Sowjetunion 1941 war Jekaterina 17 Jahre alt. Sie beteiligte sich dennoch bereits an Verteidigungsmaßnahmen der sowjetischen Armee: Sie hob Verteidigungsgräben bei Moskau aus und arbeitete im Herbst und Winter 1941 als Holzfällerin. Nach ihrer Ausbildung an der Funkerschule trat Jekaterina als Freiwillige einer Aufklärungseinheit der Roten Armee bei und ging an die Front:
„Sie schleusten uns mit Fallschirmen ins Hinterland des Feindes ein. Im August 1944 gab es im Wald auf ungarischem Gebiet eine missglückte Landung. Ich wurde sofort [nach der Gefangennahme] sehr brutal verprügelt und dann an die Gestapo übergeben. Dort wurde ich auch verprügelt, mir wurden die Zähne ausgeschlagen.“
Laut Jekaterinas Erinnerungen wurde sie dann nach Budapest (Ungarn) transportiert. Später kam sie in ein nicht näher bestimmtes Gefängnis in Österreich und wurde schließlich im November 1944 ins Konzentrationslager Ravensbrück (Brandenburg) gebracht:
Gestapo steht für Geheime Staatspolizei. Sie war die politische Polizei im NS-Regime. Gelangten sowjetische Kriegsgefangene auf das Gebiet des Deutschen Reiches, war die Gestapo dafür zuständig, Politoffiziere und jüdische Rotarmist:innen unter ihnen „auszusondern“. Nach der Aussonderung kamen die betroffenen Personen in Konzentrationslager und wurden dort erschossen.
"Alles, was ich sah, deutete darauf hin, dass man das Lager nur durch die Schornsteine des Krematoriums verlassen konnte. Ich hatte nur einen Gedanken: in meine Heimat gelangen, um dort zu sterben."
Laut Jekaterinas Beschreibung gab es im Lager zweiunddreißig Baracken, in einem Teil waren Kriegsgefangene und einem anderen Teil politische Gefangene. Ihre Lagernummer war SU-79265. Die Gefangenen wurden täglich zur Überprüfung auf den Hauptplatz des Lagers hinausgeführt. Wenn jemand zu schwach war und nicht gehen konnte, wurde sie, laut Jekaterinas Erinnerungen, gewaltsam herausgeschleppt und am Ende der Reihe zu Boden geworfen. Die Aufseherinnen wandten körperliche Gewalt an. Die Zählung der Gefangenen dauerte manchmal mehrere Stunden. Jekaterina erinnert sich an die Zeit im Lager:
"Metallbottiche mit Essen wurden auf Wagen geladen. (...) Einmal konnten sie vorne nicht festgehalten werden (...) und der Wagen rollte zum Krematorium, und dort waren nackte Leichen aufgestapelt, der Wagen fuhr in sie rein, und sie [die Stapel] fielen auseinander. Das Krematorium kam mit dem Verbrennen der Leichen nicht hinterher."
Anfang 1945 kam ein Häftlingstransport ins Konzentrationslager Ravensbrück, in dem auch Kinder aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau (heute bei Oświęcim, Polen). Jekaterina erinnert sich, dass die Kinder ermordet werden sollten:
„(…) Wir gingen zum Lagerkommandanten und baten darum, die Kinder in unsere Obhut zu geben. Man antwortete uns, dass sie kein Essen bekommen würden. Sie überließen uns die Kinder. Jeden Tag schnitten wir von unserem Sägemehl-Brot ein Stück für die Kinder ab. Sie hatten Lagernummern an ihren Armen tätowiert. In unserer fürsorglichen Obhut blieben die Kinder am Leben.“
Nach der Befreiung des Lagers adoptierten einige Kriegsgefangene diese Kinder. Einige fanden ihre Eltern wieder. Mit einigen Kindern hielt Jekaterina Kontakt:
„Lilja in Moskau, sie wurde adoptiert. Sie war drei Jahre alt und erinnert sich nicht einmal an ihre Eltern und aus welchem Land sie stammt. Ihre Mutter starb in Auschwitz. Galja aus Weißrussland wurde ebenfalls von Maria, einer ehemaligen Kriegsgefangenen aus der Nähe von Moskau, adoptiert. Stella ist in Leningrad.“
* Das Geburtsdatum wurde anhand von Angaben aus den Quellen errechnet. Ihr letzter Brief an den Verein „Контакты-Kontakte e. V“ stammt vom Dezember 2011 wurde aus Moskau, Russland abgesendet. Es liegen keine Informationen über Jekaterinas Schicksal nach der Befreiung vor.
Als Lagerkommandant wurde der Leiter eines Kriegsgefangen-, Konzentrations– oder Arbeitslagers bezeichnet.
Quelle: Briefe von Jekaterina Gorewa an die Organisation „Контакты-Kontakte e. V.„, Archiv des Museums Berlin-Karlshorst.
Jekaterina Gorewa erwähnt in ihrem Brief