Zum Hauptinhalt springen

Jurij Iwanowitsch Balaschewitsch (geb. 1925)* war ein sowjetischer Kriegsgefangener.    

 

Als deutsche Truppen 1941 die Sowjetunion angriffen, war Jurij 15 Jahre alt. Im Februar 1943 wurde er in die Rote Armee einberufen. Bereits einen Monat später war er – als Siebzehnjähriger – Panzerfahrer an der Südfront. Laut Jurijs Erinnerungen waren die Kämpfe sehr heftig. Im August 1943 wurde sein Panzer getroffen, und er geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zunächst wurde er nach Stalino (heute Donezk, Ukraine) gebracht und später nach Wolodymyr (Ukraine) transportiert. So erinnerte er sich daran: 

Hilfspolizisten verprügelten mich, nahmen mir Schuhe und Kleidung ab. Wir wurden in Güterwaggons verladen (…) In den sechs Tagen der Reise wurde nur einmal ein Eimer Wasser für den gesamten Waggon gegeben und je ein Stückchen Brot, nicht einmal auf Toilette wurden wir rausgelassen. Bis wir angekommen sind, war die Hälfte der Menschen tot. Sie hielten uns circa einen Monat lang in unmenschlichen Bedingungen. Dann wurden wir wieder wie Vieh in Güterwaggons verladen und nach Deutschland transportiert.“ 

 

Jurij kam in ein Kriegsgefangenenlager bei Küstrin (heute Kostrzyn nad Odrą, Polen), vermutlich handelt es sich dabei um das Stalag III C – Alt Drewitz. Das Lager war in Bereiche aufgeteilt, in denen sich gefangene Franzosen, Briten, Tschechen, Italiener und andere befanden. Laut Jurijs Erinnerungen behandelte die Lagerverwaltung Kriegsgefangene der sowjetischen Armee schlechter. Auch das Essen war schlecht: einmal am Tag gab es eine wässrige Gemüsesuppe und ein Stück Brot.

Im November 1943 wurde Jurij zusammen mit zwei weiteren Kriegsgefangenen mit dem Zug nach Wriezen (Brandenburg) transportiert. In einem nahegelegenen Anwesen leistete er Zwangsarbeit: 

Die Hilfspolizei rekrutierte in den deutsch besetzten Gebieten das Personal aus der einheimischen Bevölkerung. Sie half den Besatzungsbehörden des nationalsozialistischen Deutschlands. In besetzten Gebieten der Sowjetunion wurden Vertreter der Hilfspolizei  im Volksmund (abwertend) als „Polizei“ (deutsch im Original) bezeichnet. 

"Hier gab es viele Arbeiter, ca. 30 Gefangene. Solche Demütigungen wie im Lager gab es nicht mehr, aber das Essen war sehr schlecht: am Tag gab es 20 Gramm Margarine, 150 Gramm Brot, Tee und Kartoffeln. (...) Dort gab es auch Deutsche, die mit ihrem Leben, wie es ihnen von den Faschisten aufgezwungen wurde, sehr unzufrieden waren."

Als 1945 bekannt wurde, dass die sowjetische Armee den Brückenkopf von Küstrin gebildet hatte, floh Jurij mit anderen Kriegsgefangenen. Jedoch wurden sie gefangen, geschlagen und nach Wriezen zurückgeführt, wo sie in einem nicht näher bestimmten Gefängniskeller eingesperrt wurden. Mit dem Vorrücken der sowjetischen Armee nahmen die Bombardierungen von Wriezen zu und Jurij floh erneut mit anderen Kriegsgefangenen:

„Wir liefen in irgendeinen Sumpf rein und warteten dort ab. Vor Hunger aßen wir Rohrkolben. Dann beschlossen wir, weiterzugehen. Vor uns lag ein Dorf und eine Straße in der Nähe. Wir sahen einen Deutschen, der mit dem Fahrrad auf der Straße unterwegs war, plötzlich wendete er panisch und raste zurück. (…) Wir kamen näher und hörten, dass sie unser ‚Katjuscha‘ singen!!! So gelangten wir zu unseren Truppen.“   

Jurij wurde wieder in die Rote Armee eingegliedert und diente bis April 1949 als Fahrer bei den sowjetischen Besatzungstruppen in Pritzwalk (Brandenburg) und Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).    

Danach wurde Jurij demobilisiert und kehrte in die Sowjetunion zurück. Er heiratete und zog zwei Töchter groß.

 

*Die genauen Lebensjahre von Jurij sind unbekannt. Der Brief an den Verein „Контакты-Kontakte e. V.“ wurde von einer seiner Töchter im Mai 2010 verfasst. Die Adresse des Absenders ist die Stadt Nowotscherkassk (Gebiet Rostow, Russland).

Katjuscha ist ein sowjetisches Lied, das besonders während des II. Weltkrieges populär wurde.

Before
After
...

Quelle: Briefe von Jurij Balaschewitsch an die Organisation „Контакты-Kontakte e. V.„, Archiv des Museums Berlin-Karlshorst.