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Wladimir Kozhan, Standbild aus einem Video-Interview, Archiv der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Wladimir Stepanowitsch Kozhan (1925–2014) war ein minderjähriger sowjetischer Zwangsarbeiter und Gefangener in Konzentrations- und Arbeitserziehungslagern.

 

Wladimir wurde am 25. Februar 1925 in Schytni Hory (Kyjiwer Gebiet, Ukraine) geboren. 1939 schloss er die Schule ab und trat in eine Fachschule für Landwirtschaftsmaschinen ein. Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde er evakuiert, kehrte aber später, als er sich im von deutschen Truppen besetzten Gebiet befand, in sein Heimatdorf zurück. Dort hatte sich bereits eine Kampfgruppe im Untergrund gebildet, an der Wladimirs Schwester teilnahm. Sie setzte ihren Bruder als Verbindungsmann ein. Am 12. April 1942 wurden sie verhaftet. Kozhan, damals ein 17-jähriger Jugendlicher, wurde zur Zwangsarbeit in das Dorf Vogelsberg (Thüringen) geschickt. Dort musste er in der Landwirtschaft arbeiten.  

In Vogelsberg verbrachte Kozhan etwas mehr als ein Jahr. Ende der 1990er Jahre erinnerte sich Wladimir daran, dass es ihm gelungen war, sich mit einigen Einwohnern anzufreunden. Das, was er beschreibt, erscheint unter den Bedingungen der Diktatur fast unglaublich. Dennoch ist seine Erzählung mit vielen Details gespickt. Wenn er die Situation tatsächlich richtig verstanden hat, haben seine Freunde ernsthafte Risiken auf sich genommen, um ihm zu helfen. Hier ist, woran er sich erinnerte:

"Veno, der Sohn des Straßenmeisters, ein Schüler der fünften Klasse, musste jeden Samstag über mich Bericht erstatten und ihn seinem Klassenlehrer geben. Wir dachten uns aus, was er schreiben sollte. Tino Ackerman, Kotts Vater, erlaubte mir ein paar Mal, im Radio den Moskauer Sender zu hören."

Einer von Kozhans polnischen Bekannten wurde tot aufgefunden. Es wurde als Selbstmord erklärt, aber Wladimir glaubte nicht daran und sprach offen von Mord. Seine Vermieterin meldete ihn. Veno, ein Junge, mit dem er sich angefreundet hatte, rettete den jungen Mann vor der sofortigen Verhaftung. Veno warnte Wladimir, als er auf dem Feld war, dass sie nach ihm suchen würden. Kozhan floh sofort.

Elf Tage später, am 22. Juni 1943, wurde Wladimir in Jena (Thüringen) verhaftet. Er wurde in einem Lager in der Stadt Torgau (Sachsen) inhaftiert. Dort verbrachte er nur kurze Zeit und wurde bald in ein Lager überwiesen, das er als das „Eisendorf-Straflager“ bezeichnete und als „eine echte Hölle“ beschrieb. Dabei handelt es sich offenbar um ein Arbeitserziehungslager in der Nähe der Gemeinde Osendorf (heute Teil von Halle, Sachsen-Anhalt). Die Insassen dieses kleinen Lagers mussten den Steinbruch mit Metallschlacke zuschütten. Nach einem Arbeitstag wurden sie mit Wasser gewaschen und mussten bis zur völligen Erschöpfung körperliche Übungen machen:

“Und dann – ohne etwas zu können, ohne Handtücher, die bekamen wir nicht und trockneten in der Luft, dann liefen wir raus, reihten uns auf und machten zwei Stunden lang ununterbrochen körperliche Übungen. Alles hing von dem ab, wer Dienst hatte. Einer konnte dich zwei Stunden lang rennen und dich hinlegen lassen, dann befahl er aufzustehen und wieder zu rennen. Und das alles im Kreis. Ein anderer könnte verschieden Übungen machen. Aber das war nach zwei Stunden vorbei. Danach ging jeder in sein Zimmer und begann den Boden vier oder fünf Mal zu waschen, die Fenster zu putzen und zu wischen, die eigene Pritsche zu wischen und zu putzen. Wenn der Wachhabende kam, konnte er ein Tuch nehmen, den Boden damit wischen, und wenn es ihm nicht gefiel, konnte er befehlen, es noch einmal zu machen.
Um 11 Uhr [nachts] wurde der Befehl zum Schlafengehen gegeben. Von 11 [nachts] bis 4:30 Uhr [morgens] waren es nur fünfeinhalb Stunden Schlaf nach solch kräftezehrender Arbeit, dann folgten kräftezehrende Übungen. Und das Tag für Tag und täglich gab es Prügel.”

 

Wladimir glaubte, dass im Lager ein Experiment zur Untersuchung der menschlichen Ausdauer durchgeführt wurde. Er verstand, dass dies nicht lange so weitergehen konnte, und wagte Mitte August 1943 mit einem Mitgefangenen die Flucht. Einen ganzen Monat lang gelang es Wladimir, den Behörden zu entkommen. Am 15. September wurde er schlafend im Wald in der Nähe von Sohland gefunden und verhaftet, wonach die Untersuchung im Gefängnis von Bautzen (beides in Sachsen, Deutschland) begann. Am 2. November wurde Wladimir durch einen Dolmetscher sein Todesurteil verlesen. Drei Tage lang wartete er auf sein Schicksal.

"Ich habe alles neu überdacht. Der Krieg ist furchtbar, ich bin nicht der Erste und nicht der Letzte. Es war ärgerlich, dass meine Angehörigen nie erfahren würden, wo und wann mein Lebensweg endete. Aber nachdem ich meine Adresse aus dem Fenster geschrien und darum gebeten hatte, mitzuteilen, dass ich am 5. November 1943 hingerichtet wurde, beruhigte ich mich völlig und wartete auf diese Stunde."
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Kozhan zeichnete eine Schubkarre, die er beladen musste, Archiv der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Schließlich wurde klar, dass die Hinrichtung aufgeschoben wurde, und Wladimir in ein Konzentrationslager überführt wird. Am 11. November 1943 wurde er in Buchenwald (Thüringen) inhaftiert. Im Lager arbeitete Kozhan beim Verlegen von Eisenbahnschienen und half gleichzeitig den Untergrundaktivisten, Papiere zu fälschen (Lagerdokumente, die vorübergehende Freistellung von der Arbeit ermöglichten). Das Ausmaß des „Missbrauchs“ wurde bald von der SS bemerkt, und das Untergrundnetzwerk einigte sich darauf, Kozhan ins Konzentrationslager Dora-Mittelbau (Thüringen) zu verlegen. Er kam dort am 10. Januar 1944 an.

In Dora grub Kozhan anfangs Kanalisationsgräben, später reparierte und baute er Eisenbahngleise. Am 6. November 1944 wurde im Lager ein Untergrundaufstand vorbereitet, der darauf abzielte, die deutsche Waffenproduktion zu zerstören. Die Aufständischen wurden jedoch enttarnt. Am 19. November wurden alle auf dem Appellplatz aufgestellt, und jeder Zehnte wurde physisch bestraft. Ein Freund von Wladimir wurde hingerichtet.

Anfang April 1945 begann die “Evakuierung” der Gefangenen. Wladimir Kozhan kam nach Bergen-Belsen, wo er am 15. April 1945 befreit wurde. Er war zu diesem Zeitpunkt in einem fast bewusstlosen Zustand. In der Nachkriegszeit erinnerte er sich nur noch, dass er später in ein ehemaliges Stalag in Fallingbostel (heute Bad Fallingbostel, Niedersachsen) kam. 

Bereits am 30. April wurde Wladimir in die sowjetische Armee eingezogen. Nach vier Jahren Dienst in der Roten Armee kehrte er im Mai 1949 nach Hause zurück. Er versuchte, sich für Kurse zu bewerben, die von der sowjetischen Getreidebeschaffungsbehörde angeboten wurden, wurde jedoch aufgrund seiner früheren Haft abgelehnt. Stattdessen absolvierte er einen Kurs für Zugführer und heiratete eine Frau namens Ekaterina.

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Abschlusszeugnis der Zugführer-Kurse von Wladimir Kozhan, Dezember 1949, Archiv der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

1952 zogen sie nach Chaltscha (Kyjiwer Gebiet, Ukraine), das Heimatdorf seiner Frau. Wladimir fand Arbeit als Sportlehrer und holte gleichzeitig seinen Schulabschluss an einer Schule in Rschyschtschiw (Kyjiwer Gebiet, Ukraine) bis 1954 erfolgreich nach. Der Unterricht fand zwischen 20 Uhr bis Mitternacht statt, Wladimirs Heimweg betrug zwölf Kilometer. Seinen Schulabschluss nannte Wladimir “eine Heldentat”.

Ebensfalls 1954, schrieb sich Wladimir an der Staatlichen Pädagogischen Hochschule in Tscherkassy (Ukraine) ein und machte dort 1960 einen Abschluss als Mathematiklehrer. 1970 wurde Kozhan Schuldirektor in Chaltscha, bis er 1983 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand trat.

In Chaltscha lebte Wladimir Stepanowitsch Kozhan bis zu seinem Lebensende im Jahr 2014.

Before
After
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Verfasser: Ivan Schemanov

Quellen:

Erinnerungen und Dokumente von Wladimir Kozhan im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Video-Interview mit Wladimir Kozhan aus dem Archiv der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.