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Jakow Krymskij mit seiner Ehefrau, Fotograf unbekannt, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen.

Jakow Krymskij (geb. 1914)* war ein Kriegsgefangener und Konzentrationslager-Gefangener.

 

Jakow Krymskij wurde in Moskau geboren. Nach dem Studium arbeitete er als Assistent am Lehrstuhl für Metalltechnologie des Moskauer Textilinstituts. Im Mai 1941 heiratete Jakow und sollte im Juni mit seiner Frau ins Sanatorium nach Gagry fahren. Am Tag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion entschied er sich gegen den Urlaub und fuhr stattdessen an die Front. Als Unterleutnant wurde er an die Südwestfront abkommandiert. Im Februar 1942 geriet er in einen Kessel und wurde gefangen genommen. Er wurde nach Deutschland abtransportiert, wo er in einem Militärwerk in Dessau und in den Dortmunder Bergwerken arbeitete. Er durchlief die Gefängnisse in Halle und Magdeburg (beide Sachsen-Anhalt) und am Alexanderplatz (Berlin). In den Gefängnissen knüpfte Jakow erste Kontakte zu deutschen illegalen Widerstandsgruppen. 

Im Januar 1944 wurde Jakow ins Konzentrationslager Sachsenhausen (Brandenburg) geschickt. In Sachsenhausen existierte jahrelang eine geheime deutsche antifaschistische Organisation. Ihre Mitglieder verfassten und vervielfältigten Flugblätter, hörten mit einem selbstgebastelten Radioempfänger Moskauer und Londoner Sendungen und informierten die Mitgefangenen über die Lage an den Fronten. Neben der deutschen gab es eine große sowjetische Untergrundorganisation, die von General Alexander Sotow geleitet wurde. Daneben existierten weitere unabhängige antifaschistische Gruppen, eine davon leitete der mit Aufklärungsarbeit vertraute Oberst Nikolaj Buschmanow. Wegen seinem Todesurteil wurde er nicht in Arbeitskommandos eingesetzt und konnte deshalb mit in Quarantäne befindlichen Häftlingen kontaktieren. Dabei lernte er Jakow Krymskij kennen. Vor der Aufnahme in eine Untergrundorganisation wurde eine Person unbedingt überprüft. Jakow erzählt, wie er selbst eine solche Überprüfung durchlief:

"Danach brachte er eine Schüssel Suppe. Ich teilte sie mit meinen Kameraden. (…) Später erzählte mir derselbe Buschmanow, dass (…) sie sehen wollten, wie ich darauf reagierte. Teilte ich diese Schüssel mit meinen Freunden, war das ein erstes Zeichen, dass es mir nicht nur ums Essen ging. Alle haben sich gegenseitig so überprüft. Erst danach erzählten sie, dass es eine Untergrundorganisation gibt und der Eindruck besteht, dass du Teil dieser Organisation werden kannst. Nun, das war sehr kompliziert, weil dein Leben auf dem Spiel stand: Verrät dich jemand, wirst du verbrannt."
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Der ehemaligen sowjetische Kriegsgefangene W. Dozenko fertigte für die Nationale Mahn- Gedenkstätte Sachsenhausen diese Kupferstichserie unter dem Titel Menschen, erinnert euch. Dabei bediente er das in der DDR gängige Narrativ des heldenhaften Kampfes der Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus. Archiv Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen.

Oberst Buschmanow stellte Jakow nach der Überprüfung deutschen Kommunisten vor. Mit ihrer Hilfe wurde er dem Arbeitskommando zugeteilt, das Einzelteile für die „Henkel“-Fabrik fertigte. Jakow wurde mit der Gründung einer weiteren Untergrundzelle beauftragt. Ohne Erfahrung in der Untergrundarbeit, agierte er mit seinen Mitstreitern so, wie sie es aus dem Komsomol, der sowjetischen Jugendorganisation, kannten: mit Wahlen und Versammlungsprotokollen:  

„Und am Wochenende setzten wir uns zu acht in der Kleiderkammer in einen Kreis. Wir legten Spielkarten aus, um ein Spiel vorzutäuschen, und wählten den Sekretär unserer Untergrundorganisation: mich und zwei weitere Stellvertreter. Dann beschlossen wir, dass die Untergrundorganisation gegründet sei, dass es eine Leitung gäbe und so weiter. Wir beschlossen auch, alles auf Papier festzuhalten, und dieses in einer Konservendose zu vergraben, um es im Fall der Fälle wieder auszugraben. (…) Während des Einsatzes im Arbeitskommando, erzählte ich in einer Werkstattecke Willy Ratz, einem deutschen Kommunisten, von unserer Organisation und dass wir über ihn Kontakt zu deutschen Kameraden herstellen wollten. Er wurde blass, wie eine Leiche. Und er schrie mich an: ‚Bist du verrückt, du bist nicht in Moskau, du bist in Sachsenhausen, was für Listen? Was für eine Organisation, was für Mitgliedsbeiträge? Wie stellst du dir Mitgliedsbeiträge in einer Untergrundorganisation vor?‘ Und so weiter, und so fort. Danach sprach er zwei Wochen lang nicht mit mir.“

 

Die Mitglieder der Untergrundgruppe vernichteten die Protokolle und schauten sich von deutschen Kameraden konspiratives Verhalten ab. In seinem Interview erzählt Jakow Krymskij, wie die illegale Arbeit organisiert war:  

"Mitglieder meiner Organisation wussten nicht, mit wem ich in Kontakt stand. Sie kannten meinen Auftrag: Ich stehe mit der deutschen und dänischen Organisation in Kontakt, aber sie wissen nicht mit wem und wozu. Auch meine 20 Personen waren in Fünfergruppen aufgeteilt, und nur einer dieser fünf kannte seinen Vorgesetzten, zum Beispiel mich. Der Rest kannte nur den Leiter der Fünfergruppe. Es gab viele Spione im Inneren [des Konzentrationslagers], man musste sehr vorsichtig sein. Bei geringstem Verdacht wurde deine Nummer ausgerufen und es ging ins Krematorium, ohne lange zu reden. Wenn ich also einem Menschen vertraute, vertraute ich ihm mein Leben an. (...) Nun, aus unserer Gruppe, von den Menschen, die in meiner Gruppe waren, kam keiner ins Krematorium. Das heißt, es gab keinen Verräter."

Mit Hilfe deutscher Kommunisten erreichten die Untergrundmitglieder, dass ihre Kameraden zu einfacheren oder geeigneteren Arbeiten versetzt werden. Mit ihrer Hilfe wurde die berühmteste Flucht aus Sachsenhausen organisiert, die des Piloten Dewjatajew. Man verhalf ihm zum Arbeitseinsatz am Flugplatz, von wo er mit 11 Kameraden in einem deutschen Bomber entkommen konnte. 

Nach Absprachen mit dem Roten Kreuz wurden im Februar 1945 dänische und norwegische Insassen aus dem Konzentrationslager befreit. Jakow vereinbarte mit seinem Freund, Oskar Werner, dass dieser, sobald er in die Stadt kommt, einen Brief an seine Frau nach Moskau absendet. Sie wusste bis dahin vier Jahre lang nicht, wo sich ihr Ehemann befand. Zwischen diesem Brief und der Befreiung lag der „Todesmarsch“, wie ihn die Gefangenen nannten. Dabei ging es um die Beseitigung des Lagers und die Vernichtung von Verbrechensspuren. 

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Der Todesmarsch, Zeichnung des Tschechischen KZ-Häftlings Josef Dobeš. Nach 1945. Archiv des Museums und der Gedenkstätte Sachsenhausen.

Ab 21. April 1945 wurden Gefangene in Kolonnen aus dem Lager geführt und in Richtung Ostsee getrieben. Wer zurückblieb oder vor Erschöpfung zusammenbrach, wurde erschossen. Während des Todesmarsches holten Fahrzeuge des Roten Kreuzes die Gefangenenkolonnen ein und die Organisation verkündete, dass alle Gefangenen ohne Ausnahme Lebensmittelpakete erhalten würden. Laut Jakow Krymskij rettete dies zehntausenden Menschen das Leben. 

 

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Paket des Internationalen Roten Kreuzes für Kriegsgefangene. Archiv Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen.

In der zweiten Marschhälfte, als es in Richtung Lübeck (Schleswig-Holstein) ging, wurde die Bewachung der Gefangenen schwächer. Viele SS-Leute zogen sich zivile Kleidung an, um sich zu verstecken. Jakow floh mit seinen Mithäftlingen und erreichte bald eine Militäreinheit der Roten Armee. Von dort schickte er Briefe nach Hause und teilte mit, dass er noch am Leben war. Danach wurde er drei Überprüfungen unterzogen: durch SMERSh, im Lager für ehemalige Kriegsgefangene und in der Militäreinheit in Koselsk (Kaluga-Gebiet, Russland), wo er neue Dokumente bekam, in seinem Militärrang wiedereingesetzt und dann demobilisiert wurde. Jakob kehrte heim nach Moskau und arbeitete an seinem früheren Institut. 

Sein ganzes Leben lang unterhielt Jakob Beziehungen zu seinen Mitgefangenen, auch zu Deutschen und Dänen. Die Freunde standen im Briefkontakt und besuchten sich mit ihren Familien. 

 

* Genaue Lebensjahre sind unbekannt.     

Before
After
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Verfasserin: Vera Yarilina.

Quellen: Die Biographie basiert auf Interviewmaterialien von Jakow Krymskij mit der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen.