„Sie jagten uns. Wir versteckten uns, verstehen Sie? Aber wir schafften es nicht...“
Grigorij Nedelko beim Interview, Standbild aus dem Video-Interview, 1997, Archiv der Gedenkstätte Neuengamme.
Grigorij Fedotowitsch Nedelko (1924)* war ein sowjetischer Zwangsarbeiter und Konzentrationslager-Gefangener.
Grigorij Nedelko wurde am 24. April 1924 im Dorf Mala Rohozjanka (Gebiet Charkiw, Ukraine) geboren. 1930 kam seine Schwester Natalia zur Welt. Die Familie arbeitete in der Landwirtschaft und trat zu Beginn der Kollektivierung einer Kolchose bei. Die Familie überlebte den Holodomor von 1932-1933. Gregorij erinnert sich an diese Zeit:
„Dann war das Jahr 1933. Vielleicht wissen Sie es: Wir hatten eine Hungersnot. Sie wurde künstlich herbeigeführt. Dem Volk wurde absichtlich das Brot weggenommen. Sie nahmen das Brot weg, schafften alles bis zum Letzten fort. Meine Mutter fuhr nach Charkow, um Brot zu holen. Es gab sogenanntes „kommerzielles“ Brot, die Menschen standen [dafür] Schlange… Ich fuhr hin, ich war klein. Ich war, sechs plus drei, neun Jahre alt war ich. In der Schlange wurde ich beinah zerquetscht. Ich kroch aus letzter Kraft zwischen den Beinen der Menschen raus. Danach fuhr ich nie mehr…“
Nach Abschluss von sieben Klassen, ging Gregorij 1941 in eine Fachschule für Maschinenbau, aber der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 machte seine Zukunftspläne zunichte:
"Ich schloss die Fachschule nicht ab. Ich war dort im ersten Schuljahr und dann... Das Jahr 1941 machte alles kaputt. [Seufzt.] So war das. Nun, dann... Was hieß das für meine Kindheit? Meine Kindheit war schwierig. Ich hatte keine Kindheit. Meine Jugend war dahin. Das war nur ein Dahinvegetieren."
Mit Beginn des Krieges wurde Gregorij nach Kyjiw (Ukraine) geschickt, um Befestigungsanlagen zu bauen. Dort geriet er unter Beschuss und wurde ins Hinterland verlegt. Sein Gruppenleiter flüchtete während des Transports. Gregorij kehrte selbstständig in sein Dorf zurück. Auf dem Heimweg begegnete er einer deutsche Aufklärungseinheit, die er zunächst nicht als solche erkannte. So beschreibt diese Begegnung:
„Aber damals… Und die Dorfmenschen waren im Allgemeinen waren solche… eingeschüchterte Menschen. Verstehen Sie? Wir gingen nach Hause. Jeder in seine Richtung… Und da waren die Deutschen. Es gab kein Radio, keinerlei Kommunikation. Wir wussten nicht, wo die Deutschen waren. Nichts. Sie kamen… Ich gehe und sie fragen mich… Sie hatten solche Zugpferde, wissen Sie, die waren so groß… Und sie fahren und… Auf ihren Feldmützen hatten sie so, solche Kreise, wissen Sie… Ein Kreis, und darin rot und weiß… Einer fragte, wo sind russische Soldaten? Die Soldaten waren doch geflohen. Und ich sage: ‚Die sind da lang.‘ Und ich denke, dass es Kaukasier sind, vielleicht unsere, Georgier oder andere… Ich wusste nicht einmal, dass die Deutschen in unserer Gegend waren, dass sie bei uns einmarschierten. Ich verstand es erst als ich sie sah. Das waren Aufklärer… Verstehen Sie? Ich erinnere mich nicht, ob es sechs Leute waren oder… Nun, dann sind sie einmarschiert… Sie wohnten doch bei uns dort… Brot haben sie bei uns dort… Nun… Drei Soldaten, gute Menschen. Wir lebten. SS-Leute waren auch dabei. Gab es denn unter ihnen nur schlechte Menschen? Gute Menschen gab es auch… und die Deutschen… Alle sind Menschen, verstehen Sie?“
Im August 1942, als er sich in Mala Rohozjanka aufhielt, geriet Gregorij in eine Razzia:
„Sie jagten uns. Wir versteckten uns, verstehen Sie? Aber wir schafften es nicht… Fünf Leute von uns erwischten sie damals… Nun, Menschen versteckten sich dort am Fluss, im Schilf… Im Wald versteckten sich auch welche. Aber wir… Ich war zu Hause. Da schnappten sie mich. Wir wussten doch nichts, niemand warnte uns. Und wir wurden erwischt. Fünf Leute von uns, Jungs [verschleppten sie]…“
Am 22. August 1942 wurde er zusammen mit anderen Gefangenen gewaltsam nach Dortmund (Nordrhein-Westfalen) verschleppt. Die Ernährung während des Transports war schlecht. Gregorij ernährte sich von dem, was seine Mutter ihm noch mitgeben konnte. Nach der Ankunft in Dortmund musste er im Untertagebau des Ruhrgebiets, in 800 Meter Tiefe arbeiten.
Nachdem er seinen Nachnamen zu Kowal geändert hatte, flüchtete Grigorij zusammen mit einem Bekannten. So beschreibt er die Vorbereitung der Flucht:
"Wir dachten so, ein Waggon, der Zug wird nach Osten fahren. Hierher, zu uns. Was weiß ich? Irgendwas wird er, etwas wird er transportieren, es wird einen Güterwagen gaben... Nun, wir würden schon in einen Güterwaggon irgendwo hineinklettern können... Wir würden uns verstecken und nach Hause fahren. Aber wir hatten Pech, es klappte nicht."
Die Flüchtigen wurden gefasst und in einem Dortmunder Gefängnis eingesperrt. Danach arbeitete Gregorij auf einer Baustelle, und Schleppte Mörtel mit einem Schubkarren. Er floh erneut und wurde wieder gefasst. Er kam erneut ins Gefängnis und danach in ein Arbeitslager in Hannover (Niedersachsen). Er arbeitete bei der Koksherstellung. Die Arbeit war hart, der Hunger machte sich die ganze Zeit bemerkbar. Aus Hannover wurde Gregorij ins Konzentrationslager Neuengamme (Hamburg) gebracht, wo er die Lagernummer 37337 bekam. Er erinnerte sich an seine Zeit im Konzentrationslager und die Interaktion mit Gefangenen anderer Nationalitäten:
„Also, ich war auf dem 13. Block. Nun. Wir waren… Ich erinnere mich nicht, wie viele Menschen wir im Block waren. Später wurden Holländer gebracht. Sie waren… sie liefen in schwarzer Uniform aus Tuch und hatten Lederstiefel. Sie waren ganz schwarz uniformiert. Sie erhielten, daran erinnere ich mich, Pakete von ihren Familien. Wir bekamen von ihnen etwas ab… Je nachdem, wer was abgab, wissen Sie…“
Im April 1945 wurde Gregorij zusammen mit anderen Neuengammer Gefangenen auf einen Todesmarsch ins Lager Sandbostel (Niedersachsen) geschickt. Auf diese Weise versuchten die Nationalsozialisten, die Gefangenen loszuwerden und andere Spuren ihrer Verbrechen in Neuengamme zu beseitigen. Grigorij erkrankte an Ruhr und Typhus. Am 29. April 1945 befreiten britische Truppen das Lager. Lange Zeit lag Grigorij im Krankenhaus, wo er auch Kleidung, eine Militäruniform, und Schuhe erhielt.
Im Dezember 1945 kehrte Gregorij in die UdSSR zurück und arbeitete als Fahrer in Charkiw (Ukraine).
* Grigorij wurde zuletzt 1998 bei einem Besuch der Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Charkiw erwähnt; Bei diesem Besuch wurde das Interview aufgezeichnet, auf dem diese Biographie basiert.
Dortmund / Dortmund-Lindenhorst – Grigorij Nedelko war in der Zeche „Fürst Hardenberg“ eingesetzt. Im zivilen Zwangsarbeitslager der Hüttenwerk Hörde AG lebten etwa 400 Menschen.
Interview mit Grigorij Nedelko, Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.