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Semjon Schpak, Foto aus dem Archiv des Projekts „Ta storona“. 

Semjon Alexandrowitsch Schpak (geb. 1925)* war ein sowjetsicher Zwangsarbeiter und Konzentrationslager-Häftling.

 

Semjon Schpak wurde im Dorf Hanusiwka (heute Luhansk-Gebiet, Ukraine) geboren. Er war sieben Jahre alt als der Holodomor in der Ukraine begann. Um ihn zu retten, schickte ihn seine Mutter in die Stadt, wo er in einem Waisenhaus unterkam. Nach einem Jahr floh Semjon zur ersten Mal in seinem Leben und kehrte alleine nach Hause zu seinen Eltern zurück.

Nach Beendigung der siebten Klasse kam er auf eine Handwerksschule, wurde jedoch im Sommer desselben Jahres wegen einer Schlägerei zu anderthalb Jahren Jugendgefängnis verurteilt. Er verbüßte seine Strafe in Charkiw (Ukraine). Nach Kriegsausbruch kehrte Semjon 1941 wieder nach Hause zurück. Zu dieser Zeit lebte die Familie in Nikopol (Ukraine).

Im Herbst desselben Jahres wurde er wegen Tragens von Schusswaffen verhaftet und bekam einen Bescheid über seine Deportation nach Deutschland, bei Zuwiderhandlung drohten Repressalien gegen seine Familie. Im Juni 1942 wurde er zusammen mit Gleichaltrigen, darunter seiner Schulfreundin, Maria Gorobez, mit dem Zug nach Deutschland deportiert.

Semjon hoffte, mit Maria in dieselbe Stadt zu kommen. Aber ihnen wurde gesagt:

Ihr dürft nicht zusammenbleiben. Ihr seid hier nicht, um Kinder zu zeugen, sondern um zu arbeiten.

 

In Würzburg floh er, konnte aber seine Freundin nicht finden. Er floh auch aus dem Arbeitserziehungslager Russenwiese bei Nürnberg, wohin er nach seiner Inhaftierung verlegt wurde. Nach seiner erneuten Gefangennahme steckte man Semjon in das Konzentrationslager Flossenbürg (alle in Bayern, Deutschland). Die Arbeit in den Steinbrüchen von Flossenbürg war sehr schwer und gefährlich, viele Menschen starben dort unter den Steintrümmern. Semjon wollte sein Glück erneut versuchen und plante eine weitere Flucht. Wenn jedoch jemand zur abendlichen Kontrolle im Lager untertauchte, wurden alle Lagerinsassen bestraft, indem sie 48 Stunden lang auf dem Hauptplatz des Lagers – dem Appellplatz stehen mussten:

Bombenräumkommando  – ein Arbeitskommando von Häftlingen, die zur Suche und Entschärfung von nicht explodierten Bomben und Geschossen eingesetzt wurde. In der Regel erfolgte dies ohne spezielle Ausrüstung. Ehemalige Gefangene aus der Sowjetunion verwenden in ihre Erinnerungen hierzu oft den deutschen Begriff „Bombensuche“.

"Und ich hatte Angst, wenn meine Mitgefangenen mich erwischten, würden sie mich zerreißen. 48 Stunden stehen bei Regen oder Schnee. Stellen Sie sich vor, was dies bedeutet."

Zunächst galt es, zumindest einen kleinen Lebensmittelvorrat anzulegen. Es war schwierig dies im Lager zu verbergen. Viele Gefangene waren bereit, Fluchtvorbereitungen zu verraten, um eine zusätzliche Essensration zu bekommen:  

„Jeweils zwei Personen nutzten einen Schrank, wo wir unsere Handtücher und Zahnbürsten hatten. Jeden Schrank teilten sich stets zwei [Personen] unterschiedlicher Nationalität. Sagen wir, ein Pole teilt sich mit mir [den Schrank], er sieht, dass ich Tabak oder Salz sammele. Sie verstanden wozu gesammelt wurde. Sie wollten eine Brotration verdienen. Jede zweite Person dort war ein Spitzel, ein Informant.“ 
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Schließfächer, in denen Häftlinge persönliche Sachen aufbewahren konnten. Sie waren nicht in allen Baracken vorhanden und für mehrere Personen bestimmt. Manche Häftlinge trugen für sie wichtige Sachen stets bei sich. Bei dem Bild handelt es sich um ein Propagandafoto, das die vorbildliche Ordnung in den Konzentrationslagern veranschaulichen soll. Archiv Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen.

Nachdem Semjon etwas Essen angehäuft hatte, versteckte er sich für einige Tage unter einem Steinhaufen. Sollten die Wachen ihn finden, plante er so zu tun, als könnte er nicht alleine rauskommen. Aber nach ihm wurde nicht gesucht. Nachts ging Semjon in den Wald, um sich zu verstecken. Einige Tage später entdeckte ihn ein Anwohner, der Mitleid mit ihm hatte und ihm Essen brachte. Seine gestreifte Häftlingskleidung, die auch vom Weiten auffiel, konnte der Geflohene jedoch nicht wechseln. Deshalb wurde er nach einer Woche gefasst und ins Lager zurückgebracht. Zur Strafe für die Flucht wurde Semjon über mehrere Monate medizinischen Experimenten unterzogen.  

 „Und so testeten sie an mir ein Medikament, bis mein Bein anschwoll und zum Klotz wurde. Dann steckten sie mich mit einer Geschlechtskrankheit an. Ich hörte ein Gespräch zwischen deutschen Ärzten im Offiziersrang: „Diese Häftling nicht Kinder [deutsch im Original].‘ Damals maß ich dem keine Bedeutung bei. 

 

Aber die Ärzte hatten Recht: Nach diesen Experimenten blieb Semjon zeugungsunfähig.  

Das härteste Lager für Semjon war das Konzentrationslager Mauthausen, wohin er aus Flossenbürg verlegt wurde. Dort wurde er mehrmals Zeuge, als Gefangene misshandelt wurden.

1942 wurde Semjon in das Konzentrationslager Sachsenhausen (Brandenburg) verlegt, wo er in Arbeitskommandos in der „Klinker“-Ziegelei, der „Henkel“-Chemiefabrik und später im Bombenräumkommando arbeitete.

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KZ-Häftlinge und ein deutscher Militär befreien eine Straße in Berlin von Trümmern nach einem Bombenangriff, 1944. Archiv Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen.

Auch in Sachsenhausen unternahm Semjon einen erfolglosen Fluchtversuch. Auf Flucht stand die Todesstrafe. Jedoch war es für die Lagerwache wichtig, die Schwachstellen der Bewachung zu verstehen, weshalb sie Semjon anboten, ihn am Leben zu lassen, wenn er zeigte, wie er entkommen konnte. Er willigte ein, sprang jedoch während der Nachstellung in ein vorbeifahrendes Auto und verschwand aus den Augen seiner Bewacher. Nachdem sie ihn einholten, bestraften sie ihn jedoch nicht, sondern wollten dem findigen Flüchtigen eine Lektion erteilen, indem sie die neue Ausrüstung, einen Militärhelm, an ihm zu testeten:

„Bringt mir den tollkühnen Burschen!‘ Ich kam, sie setzten mir diesen Helm auf. An ihn sind mehrere Drähte angeschlossen. Und sie sagen: ‚Weitergehen [deutsch im Original]! Komm schon her!‘ Ich gehe weiter, als ob nichts ist, und dort steht jemand irgendwo, ich sehe ja nichts, und schlägt mich auf meinen behelmten Kopf. Die Sensoren zeichnen alles auf, ich stehe. Ein junger SS-Mann (…) zieht eine Parabellum hervor und sagt: ‚Steh still! Dein Leben hängt nur von dir ab! Ich schieße und du rührst dich nicht, dann überlebst du.‘ Er zielt und die Kugel schießt dreimal nach vorne. Man hört das typische Geräusch, wenn die Kugel abprallt. Sie sagen: ‚Ja. Gut [deutsch im Original]. Lasst diesen Kerl in Ruhe, gebt ihm zu Essen. Wir kommen wieder auf ihn zu, das ist ein taffer Kerl.‘“

Zum letzten Mal floh Semjon – schließlich erfolgreich – im Frühjahr 1945 vom Todesmarsch während der Lagerauflösung. Einheimische, die er traf, zeigten ihm, wo ein „guter Hausherr“ wohnte. Der deutsche Hausbesitzer ließ ihn tatsächlich herein und versorgte ihn mit Essen und Wechselbekleidung:

"Er öffnet den Schrank: ‚Nimm alle Kleidung, die du brauchst, zieh sie an!‘ Er hatte einen Sohn in meinem Alter. Beim ersten Blick in den Schrank sah ich SS-Kleidung mit diesem Nazi-Abzeichen und wandte mich sofort ab. Er: ‚Hab keine Angst, das ist schon Vergangenheit, alles weit weg, niemand mehr braucht sie. Der Sohn ist weg, auf der Flucht und du, leg dich hier schlafen.‘"

Semjon traf Truppen der Roten Armee, wurde überprüft und vereidigt und nahm sogar an Kämpfen an der Elbe teil, wobei er den Rang eines Sergeanten erhielt. Nach dem Ende des Krieges gegen Deutschland wurde seine Einheit auf die kurilische Insel Matua, im Pazifik verlegt. Während des Krieges befand sich dort die größte japanische Militärbasis. Ab 1945 wurde dieser strategisch wichtige Stützpunkt von sowjetischen Truppen besetzt. 1947 brach auf der Insel ein Vulkan aus. Semjon glaubt, dass dieses Ereignis teilweise seine Demobilisierung beschleunigte. Er kehrte im gleichen Jahr zurück nach Hause. Dort erfuhr er, dass sein Vater während des Krieges auch nach Deutschland verschleppt wurde. Erst viele Jahre später stellte sich heraus, dass er im Lager Sachsenhausen starb, in dem Zeitraum, als sein Sohn dort war.

In Nikopol traf er seine Freundin Maria wieder, die während des Krieges als „Ostarbeiterin“ auf einem Bauernhof in Deutschland arbeitete. Sie heirateten. Semjon lernte das Walzbiegen in einer Rohrfabrik, und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung. Das Paar bekam keine Kinder. Den Grund dafür sehen sie in Marias harter körperlicher Arbeit während des Krieges und darin, dass Semjon im Lager medizinischen Experimenten unterzogen wurde. All dies wirkte sich auch auf ihre Gesundheit im Alter aus.

1995 besuchte Semjon mit einer Delegation ehemaliger Häftlinge seine Inhaftierungsorte in Sachsenhausen.

* Die genauen Lebensjahre sind unbekannt.

Parabellum eine deutsche selbstladende Pistole. Ihr Name verweist auf das lateinische Motto des herstellenden Unternehmens „Si vis pacempara bellum, was bedeutet: „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“

Before
After
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Verfasserin: Vera Yarilina

Quellen: Die Biografie basiert auf dem Interview mit Semjon Shpak für das Projekt „Ta Storona“.